james nachtwey: der schwergewichtler unter den kriegsfotografen

Kaum ein Ort des Schreckens, den der Pressefotograf James Nachtwey während der vergangenen zehn Jahre nicht besucht hätte. Seien es rumänische Waisenhäuser, das alltägliche Leben der „Unberührbaren“ in Indien, die vom Krieg ausgelöste Hungersnot in Sudan und Somalia (unser Bild entstand 1992 in Somalia), die Massaker in Ruanda und Zaire oder die Kriege in Bosnien, Tschetschenien und im Kosovo: Der in Syracuse (USA) 1948 geborene Magnum-Autor war da und hat versucht, das anscheinend Unfassbare hinter den Schlagzeilen fotografisch abzubilden.Seine schwarzweißen Fotoreportagen hat Nachtwey jetzt in dem Band mit dem treffenden Titel „Inferno“ versammelt (Phaidon, London, 249 DM). Und eines ist dabei klar: Viele Bilder drehen einem wirklich den Magen um. Dass „Inferno“ sowieso eine bis in den

Körper reichende Aufmerksamkeit fordert, hängt schon mit seinem schieren Umfang zusammen. Mit seinen mehr als vier Kilogramm Gewicht und seinem großen Format (28 x 38 cm) lässt sich das 480-seitige Album nicht einfach so in die Hände nehmen: Das Betrachten wird hier Arbeit. Und es ist gut so. Hat man es einmal aufgeschlagen, ist es ausgeschlossen, der Konfrontation mit dem kaum ertragbaren Inhalt auszuweichen.James Nachtweys Fotografie spürt oft ins Vergessen geratenen Folgen von Prozessen nach, die sonst allzu sehr vom Spektakulären verschleiert werden. Am Ende vermittelt das Buch ein erstaunliches Gefühl von trauernder Stille, von einer Welt, die in der Wüste der Trümmer sogar die Kraft verloren zu haben scheint, laut zu weinen.YVES ROSSET