EU-Grundrechte umstritten

PRO: Europa muss auch die sozialen Rechteschützen – dazu gehört das Recht auf Arbeit
von JÜRGEN MEYER

Über den Sinn sozialer Grundrechte wird gestritten, seit es sie gibt – diesmal anlässlich der Europäischen Grundrechtscharta, die gerade von der EU erarbeitet wird. Morgen findet dazu eine öffentliche Anhörung des Bundestages und -rates im Berliner Abgeordnetenhaus statt. Gegen eine soziale Ausgestaltung der EU-Grundrechtecharta bringen die Kritiker im Wesentlichen drei Argumente vor: Anders als die politischen Grundrechte seien die sozialen Rechte zu teuer; sie würden Unternehmen und öffentliche Kassen überlasten und den „Standort Europa“ gefährden. Zweitens sei die Fixierung der sozialen Grundrechte sowieso nutzlos, da sie nicht eingeklagt werden könnten. Und drittens erregt vor allem das „Recht auf Arbeit“ höchstes Misstrauen, da dies meist als „Recht auf einen Arbeitsplatz“ missverstanden wird.

Zur ersten Sorge: Soziale Rechte könnten teuer sein. Das ist zugleich wahr und ein Irrtum. Wahr ist, dass es einer der wesentlichen Fortschritte der letzten 200 Jahre war, dass die Menschen einen Anspruch auf Sozialhilfe haben und nicht mehr auf die „Gnade“ des Almosens angewiesen sind. Es ist allerdings ein Irrtum, zu glauben, dass die politischen Rechte – die so genannten Abwehrrechte – billiger seien als die sozialen Rechte. Dies ist schlicht falsch. Denn die demokratische Teilhabe ist eines der wichtigsten politischen Rechte und zugleich sehr teuer. Das fängt schon mit den Organisationskosten für Wahlen an. Umgekehrt ist das Mutterrecht der sozialen Rechte – das Recht auf Eigentum – sehr „preiswert“ zu haben, weil der Staat hier nichts anderes tun muss als eben: nichts. Und niemand wird ernsthaft behaupten wollen, dass das Streikrecht – auch ein soziales Recht – dem Staat finanzielle Bürden auflädt.

Aus jedem Grundrecht ergeben sich drei Pflichten des Staates: die Respektierung, der Schutz und die Förderung. Und nur die letzte Stufe, die Förderung der Grundrechte, verursacht überhaupt nennenswerte Kosten. Um dies konkret am Beispiel des umstrittenen „Rechts auf Arbeit“ zu erläutern: Aus der Pflicht des Staates, die Respektierung dieses Rechts sicherzustellen, ergibt sich etwa, dass Menschen nicht an einer Berufsausübung gehindert werden dürfen. Aktuellstes Beispiel ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der festgestellt hat, dass der Ausschluss von Frauen aus weiten Teilen der Bundeswehr unzulässig ist. Um es noch einmal zu wiederholen: Kosten sind der Bundeswehr durch diese Respektierung eines sozialen Grundrechtes auf Arbeit nicht entstanden. Gleichzeitig zeigt dieses Beispiel schlagend, dass auch der zweite Einwand der Kritiker nicht zutrifft: Die sozialen Grundrechte können so gestaltet werden, dass sie einklagbar sind.

Spätestens aber bei der Förderungspflicht sind die Gegner der sozialen Rechte besorgt. Dies ist ihr dritter Einwand: „Recht auf Arbeit“, ist dies nicht identisch mit dem „Recht auf einen Arbeitsplatz“!? Falsch: Ein solcher Anspruch ist nicht enthalten. Förderung heißt allerdings, dass der Staat zum Beispiel eine Arbeitsvermittlung organisiert oder dafür sorgt, dass benachteiligte Gruppen besser in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Soziale Grund- und politische Menschenrechte sind unteilbar. Der Versuch, eine Trennung dieser Rechte vorzunehmen, ist eine Attacke gegen die Grundrechte im Ganzen. Eine Grundrechtecharta ohne soziale Grundrechte wäre ein Rückschritt in Europa und hätte eine verheerende internationale Ausstrahlung.