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Im Pool

Achtung, dieser Raum wird jetzt mit Jazz geflutet: Marilyn Crispell spielte mit ihrem Trio im A-Tran

Sie schwemmt den Sound durch den Raum: Marilyn Crispell setzt auf Energie und Virtuosität, und es wurde mal behauptet, sie komme gleich nach Cecil Taylor, was die Weiterentwicklung des Jazzpianospiels betrifft. Das war Anfang der Achtziger, als ihre große Zeit auf kleinen Labels begann.

Vor drei Jahren erschien beim Münchner Indie-Multi ECM eine Doppel-CD von Marilyn Crispell mit Kompositionen von Annette Peacock: „Nothing ever was, anyway“. Für diese Aufnahmen konnte sie damals Paul Motian, Schagzeug, und den langjährigen Bassisten des Keith Jarrett-Trios, Gary Peacock, gewinnen. Mit diesem Trio ist Crispell derzeit auf Tournee, auf dem Weg von Brüssel nach Kopenhagen traten sie Mittwochabend im Jazzclub A-Trane auf.

Bis kurz vor Öffnung der Abendkasse tat man da auf Seiten des Veranstalters schon sehr nervös. Die wenigen Kartenreservierungen signalisierten wohl, dass hier dennoch etwas floppen könnte. Doch es kam anders, binnen kurzem war der Laden voll. Und statt des typisch reservierten Jazzpublikums zeigten sich nun viele Leute, die sich nicht nur altersmäßig von der Fünfzigplus-Combo auf der Bühne unterschieden.

Bedingung für den Auftritt des Crispell-Trios war nicht nur die Erfüllung hoher Gagenforderungen, sondern auch die Einhaltung eines umfangreichen Vertragswerkes, das dem Publikum vorab noch in Auszügen vermittelt werden musste. Kein Zweifel sollte aufkommen, hier sind – Jazzclub hin oder her – wahrhaftige Künstler unterwegs. Und die mögen nun mal nicht, wenn andere in ihrer Anwesenheit rauchen, fotografieren, sprechen oder gar trinken. Kurzerhand wurde also all das verboten und gedroht, bei Zuwiderhandlung das Konzert abzubrechen. Das Keith-Jarrett-Syndrom machte sich breit. Was folgte, war allerdings mehr als die exakte musikalische Umsetzung eines fies-cleanen Lifestyle. Enge breitete sich aus. Der Blick auf die Bühne ist verstellt, im hinteren Teil des Raumes versagen die Deos wie auf Kommando, und gleichzeitig wird der Bar-Service eingestellt.

Die Melodien von Annette Peacock verbreiten bittersüße Stimmungen, sehnsuchtsvoll verharren sie in dieser Welt wie kleine Hoffnungen in harten Zeiten. Gary Peacock kennt sich da aus, er ist der große Melodiker unter den zeitgenössischen Bassisten des Jazz. Und Motian ist einer der Schlagzeuger, die vom Umgang mit Stille in der Musik etwas wissen. Doch Crispells Versuch einer Re-Interpreatation von Peacocks Minimal-Art-Composing schwimmt ihr förmlich aus den Händen. Dabei hat sie damals noch das Programm mit Annette Peacock zusammen einstudiert, als sie in ihrer Nachbarschaft in Woodstock wohnte. Aber zwischen wunderschönen thematischen Einstiegen und Endungen wühlt sich Crispell durch Unmengen von Tönen, so dass jede Orientierung aus dem Ufer läuft und sich spätestens beim dritten Stück alles gleich anhört.

Aber das Timing und der Sound dieses Trios sind so viel Kunstwerk, dass das Publikum erst nach kurzer Pause applaudiert. Nicht frenetisch unbedingt, aber tief beeindruckt.

CHRISTIAN BROECKING

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