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: Sportmediziner Wienecke geißelt Ignoranz der Fußballtrainer

PATIENT BUNDESLIGA

Träumen wir ein wenig vor uns hin: Bielefeld und Duisburg schaffen den Klassenerhalt, Ulm und Dortmund spielen bald international. Wir schauen auf die Tabelle und lachen herzlich. Nur einer lacht nicht mit. Alles nur eine Frage des richtigen Trainings, meint Dr. Elmar Wienecke. Der Sportmediziner hat festgestellt, dass falsches Training im Profifußball an der Tagesordnung ist und nicht selten mitverantwortlich für erhöhte Verletzungsanfälligkeit und extreme Leistungsschwankungen vieler Spieler. Darüber hat er ein Buch geschrieben: „Patient Bundesliga“.

Fußballprofis, so Wienecke, seien nicht die fußkranken Millionäre, Drückeberger und Arbeitsverweigerer, für die man sie gern hält (bestgehasste Fan-Anfeuerung beim Auslaufen: „Renn lieber im Spiel!“), sondern durch Mehrfachbelastung und englische Wochen „längst an ihre persönlichen physischen Grenzen vorgedrungen“. Die Spieler befinden sich in permanten Überlastungssituationen, ausreichende Erholungszeiten fehlen.

Die Trainingslehre weiß: Körperliche Leistungsfähigkeit gedeiht nur im optimalen Zusammenspiel von Belastung und Erholung. Wer den nächsten Trainingsreiz zu spät setzt, dem geht ein Teil des Trainingseffekts verloren. Und schlimmer noch: Wer gar zu früh zur nächsten Trainingseinheit antritt, gibt nicht genug Raum für die unbedingt notwendige Regeneration. Die Arbeitsfähigkeit schwindet. Wer dauerhaft so trainiert, wird schlechter statt besser. Und zudem anfälliger für Infektionen und Blessuren (Wienecke: „42,3 Prozent der Verletzungen entstehen ohne Fremdeinwirkung“). Nach erhöhten Belastungen ist das Immunsystem nämlich mit der Beseitigung der zerstörten Muskelzelle beschäftigt und kann sich nicht gleichzeitig mit Viren und Bakterien auseinander setzen. Diese können dann leichter in den Körper eindringen. „Open-Window-Syndrom“ heißt das.

Schon ist Möller wieder erkältet und Dortmund der Verzweiflung nah. Will man diesen unerwünschten Effekten entgegenwirken, muss Training in vielen Vereinen neu gedacht und organisiert werden. Das Zauberwort heißt „Trainingssteuerung“ und ist das Gegenteil von Herumwurschteln. Da verschiedene Menschen auf ein und denselben Belastungsreiz nicht auf die gleiche Weise reagieren, müssen Übungen viel stärker individualisiert werden. Während die einen schon wieder belastet werden, haben die anderen noch Pause. Gängige Ankündigungen wie „Nächstes Mannschaftstraining: Montag, 10 Uhr“ verbieten sich demnach fast von selbst. Die Übungseinheiten müssen vielmehr so zugeschnitten werden, dass sie unterschiedlich langen Erholungszeiten verschiedener Spieler optimal gerecht werden. Trainiert werden müsste also viel seltener mit der ganzen Mannschaft und viel öfter in leistungshomogenen kleinen Gruppen.

Nun sollte man meinen, dass Wirtschaftsunternehmen mit zweistelligen Millionenetats die Zeichen der Zeit längst erkannt hätten. Doch weit gefehlt: „Die rehabilitativen Maßnahmen in den Vereinen haben sich in den letzten Jahren zum Teil sehr positiv verändert“, weiß Wienecke, „allerdings werden bislang die präventiven Maßnahmen der täglich begleitenden Diagnostik leider nicht ausreichend mit einbezogen.“ Ein Großteil der Trainergilde begnügt sich damit, dem Laktattest zu höheren Weihen zu verhelfen. Eine Maßnahme, die ziemlich kurz greift, erlaubt sie doch lediglich Aussagen über die konditionellen Grundvoraussetzungen eines Spielers, nicht jedoch über seine Erholungsfähigkeit. Dazu müssten ganz andere Untersuchungen durchgeführt werden, etwa Kreatin- und Harnstofftests. Das wiederum zöge nach sich, den Betreuerstab um jemanden zu ergänzen, der gemeinsam mit Trainer und Co-Trainer die praktische Umsetzung der medizinischen Tests vornehmen kann. Dabei entstünden einem Club der 1. Liga Mehrkosten von kaum einer Dreiviertelmillion Mark pro Spielzeit. Das ist eigentlich Portokasse, den meisten Vereinen aber zu teuer.

Wienecke hat sich etwa auf der Bielefelder Alm zwecks medizinischer Betreuung des Profikaders angedient. Jenseits finanzieller Bedenken traten dort allerdings noch ganz andere Auffassungen zu Tage. Trainer Hermann Gerland: „Mich interessiert nicht, welche Laktatwerte Bruno Labbadia hat, mich interessiert nur, ob er die Bälle reinmacht.“ Bielefeld wird absteigen. Das hat Gerland nun davon. Und Wienecke lacht.

REINER LEINEN

Elmar Wienecke: „Patient Bundesliga“. LebensBaum Verlag, 144 Seiten, 38 DM