Sack und Pack in die Baracke

Big Brother muss verfeinert werden: Bundesregierung zusammenlegen, jetzt!

Die Welt hat viele Probleme, gravierende Probleme, aber das Königsproblem ist das von Raum und Zeit, das falsche Raum-Zeit-Kontinuum, in dem sich die Menschheit seit Anbeginn der Zeiten befindet. Am falschen Ort zur falschen Zeit zu sein, zählt zu den axiomatischen Dilemmata unseres Daseins, und oft, ja eigentlich immer, sind es auch noch die falschen Personen, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort befinden. Wäre etwa Joschka Fischer zu anderer Zeit, nämlich zwanzig Jahre früher, Außenminister geworden, hätte Rudolf Scharping an einem anderen Ort, nämlich in der Psychiatrie, Quartier bezogen und würde Gerhard Schröder die Kanzlerschaft einer anderen Person, nämlich Klaus Bednarz, überlassen haben, dann wäre so manchem Zug- und Busreisenden in Jugoslawien der frühe Tod erspart geblieben. Um nur ein Beispiel zu nennen.

Das falsche Raum-Zeit-Kontinuum und die falsche Wahl der Personage sind der Kern aller Katastrophen und Tragödien der Gesellschaft, der Familie und auch der Kunst. Eine kleine Verschiebung auf der Zeitachse, eine winzige räumliche Verlagerung genügte in den allermeisten Fällen, das obwaltende Verhängnis abzuwenden. Aber der Mensch vermag weder am Rad der Zeit zu drehen noch den Raum zu verschieben. Was ihm obliegt, ist lediglich er selber, sind Personalfragen. Wenn es nur gelänge, die richtigen Personen in den entsprechenden Raum- und Zeitabschnitten zu deponieren, wäre schon vieles, wenn nicht alles gewonnen. Sollte dies nicht endlich, nach allem Unheil, Unsinn und nach aller Unbill, in Angriff genommen werden?

Allerdings – und, bitte, bald.

Den Anfang und die alle Zweifler überzeugende Probe aufs Exempel könnte die Schmierseifen-Doku-Oper „Big Brother“ auf RTL 2 machen. Die derzeit dort herumkäsenden und endlose WG-Palavereinheiten abspulenden TV-Dummies sind ja allzu offensichtlich eine Fehlbesetzung – bzw. lediglich, und darauf kommt’s an, Platzhalter für andere Akteure, die dem idiotischen Container-Geschehen kräftig auf die Sprünge helfen könnten: nämlich die Bundesregierung. Etwas Besseres dürfte a) der Sendung, b) dem Medium Fernsehen, c) dem demokratischen Gemeinwesen und d) der Idee des Fortschritts gar nicht passieren, als dass Schröders Team mit Sack und Pack in die Baracke bei Köln einzöge und alle Sitzungen, alle Treffen, alle Veranlassungen, ja den kompletten Polit-Geheimkram, der ansonsten bloß hinterm Rücken oder unterm Tisch stille-post-artig abgekaspert wird, vor laufenden Kameras absolvieren täte.

Die Vorteile einer solchen Einquartierung und Rund-um-die-Uhr-Observation unserer obersten (Spenden-)Kofferträger liegen nur aus einem Grund nicht auf der Hand – weil so viele Vorteile nicht auf eine Hand passen. Stichworte seien: Regierungsumzug, Parteispenden, Korruption, Geheimdiplomatie, Absprachen, Fraktionsbildung, Charaktereigenschaften, Politiker als Menschen, Politik mit menschlichem Antlitz usw. usf. Und dafür muss nicht viel getan werden. Ein Privatleben haben Politiker, wie sie immer wieder beteuern, ohnehin nicht. Also: why not?!

Die Spielregeln von „Big Brother“ könnten beibehalten werden. Keiner verlässt den Container, einmal am Tag müssen alle Minister in die Sperrholzbox zur TV-Beichte, und ansonsten können alle gern und ausgiebig auf dem gelben Sofa herumlümmeln, duschen und Volksreden halten. Was man gern sähe: Welche Formen die sich anbahnende Affäre zwischen Traumpaar Otto Schily und Edelgard Bulmahn unter der Bettdecke annimmt (wird der Sender erneut eine „orale Verwöhnung“ ankündigen?), ob Scharping tatsächlich ein Warmduscher ist, ob die Prolls (R. Klimmt, A. Fischer, G. Schröder) oder die Intellektuellen (J. Trittin, H. Wieczorek-Zeul) am Morgen die Popcornmaschine reinigen müssen. Jede Woche wird ein Regierungsmitglied nominiert, fliegt raus und hat den Rest seines Lebens in Talkshows abzusitzen. Der oder die Letzte kann das Licht dann brennen lassen. So wär nach ein paar Wochen aller Spuk vorbei / und Deutschland endlich: herrschaftsfrei. RAYK WIELAND

Hinweis:Die Vorteile dieser Einquartierung liegen nur aus einem Grund nicht auf der Hand – weil so viele Vorteile nicht auf eine Hand passen