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: CHRISTOPH SCHULTHEIS über ein Medium, das keiner leiden kann

FERNSEHEN VERURSACHT RÜCKENMARKSSCHWUND

Mit dem Fernsehen ist es wie mit der „Lindenstraße“: Am Ende will’s wieder keiner gesehen haben. Oder wie Vergewaltigung: Da will’s am Ende auch wieder keiner gewesen sein.

Geben wir’s ruhig zu: Beliebt ist es nicht, das Fernsehen. Beliebt sind Thomas Gottschalk und Gabi Bauer. Nicht aber das Fernsehen an sich. Und nicht nur unbeliebt ist es, sondern auch nicht gut. Da sind wir uns alle einig: Nix für Kinder. nix für Bildungsbürger. Für die Alten gibt’s nicht mal mehr den „Bergdoktor“ auf Sat.1! Und schlecht für die Augen ist die Flimmerkiste außerdem. (Ein Wunder, dass nicht auch das Gerücht vom Rückenmarksschwund durch den Volksmund geistert.)

Bedauerlicherweise ist das arme Fernsehen im Auf und Ab des elektromedialen Biorhythmus wohl ausgerechnet in einer Talsohle entstanden. Man kennt das ja – von den Generationen etwa (erst die bösen Nazis, dann die 68er, jetzt die Teletubbies usw.) oder von der Liebe.

„Radio“? Da denkt niemand etwas Böses: Radio. Das gute alte. Information. Hörerwünsche. Leichte Muse beim Staubsaugen und Staumeldungen. Und „Internet“? Das ist: die Zukunft! Wachstum! Kommunikation! MP 3-Dateien! Zwischen Radio-Nostalgie und Internet-Hysterie (an Volksempfänger und Goebbelsreden denkt spontan kein Mensch, an kinderpornografie.de auch nicht) hat’s der Allerweltshybrid TV nicht leicht: Rundfunk mit Bild, Provider ohne Links und Chatroom. Dazwischen wird „Big Brother“ zum Ereignis, das im Radio nicht möglich, im Netz ein alter Hut ist. Und trotzdem heißt’s wieder: Trash, Schmuddel, Volksverdummung!

Und jetzt, nachdem wir gerade mal 47 Jahre lang murrend immer länger und länger dasitzen und Programm und Medium immer schlechter und schlechter finden, wird der neuste Trend ausgerufen: Ein Wissenschaftler befragt Leute, die nicht fernsehen wollen; ein Fachblatt berichtet; eine Nachrichtenagentur verbreitet die Kunde – schon jubilierte die Welt: „Das Fernsehen ist out.“ Die hochgerechnet 1,5 Millionen TV-Abstinenzler, so der Forscher, seien „keine zu vernachlässigende Randgruppe“, zumal sich ihre Zahl in den letzten drei Jahren verdoppelt habe. Und was für Abstinenzler das sind! „Die gesellschaftliche Elite“ nämlich, mit Studium und Geld und Großstadtflair.

Immerhin hat die Nachrichtenagentur dpa sicherheitshalber noch mal beim Institut für Demoskopie nachgefragt, wo man allerdings „nichts Signifikantes über eine Zu- oder Abnahme des prozentualen Anteils der Nichtfernseher an der Gesamtbevölkerung“ entdecken konnte: Die 1,5 Millionen Nichtseher seien einfach „zu wenige, als dass zufallsfreie Aussagen über sie bei demoskopischen Feststellungen möglich wären“.

Das leuchtet ein: 1,5 Millionen – das sind gerade mal so viele, wie täglich „Bärbel Schäfer“ gucken. Aber kein Mensch wird Bärbels Zuschauer signifikant oder gar trendy finden wollen.