Riskante Erinnerungen

Indonesiens Präsident Wahid hat an einem Tabu gerüttelt, als er im Namen der Nation die Aufklärung der antikommunistischen Massaker der Sechziger forderte. Jetzt wird er angefeindet

von JUTTA LIETSCH

„Zur Hölle mit dem Kommunismus!“, riefen tausende muslimische Demonstranten, die sich gestern vor dem Präsidentenpalast in Jakarta versammelt hatten. Einige schwenkten gar Parolen wie: „Kommunismus und Zionismus sind Opium für die menschliche Rasse“. Proteste wie diese finden derzeit fast täglich in verschiedenen Orten des Landes statt. Der Grund: Präsident AbdurrahmanWahid hat es gewagt, ein Tabu zu berühren, das seit über dreißig Jahren über der indonesischen Gesellschaft liegt: die antikommunistischen Pogrome Mitte der Sechzigerjahre.

Innerhalb weniger Monate starben damals über 500.000 Menschen, mehr als 600.000 verschwanden in Gefängnissen und Lagern – ohne Urteil und für lange Jahre. Nach offizieller Geschichtsschreibung hatte die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) 1965 versucht, durch einen Putsch an die Macht zu gelangen. Zuvor war fast die gesamte Armeespitze des Landes ermordet worden. Ob dafür die PKI verantwortlich war, ist bis heute unklar. Fest steht dagegen, dass das Ergebnis der auf die Generalsmorde folgenden Aktionen die Machtübernahme des ehrgeizigen jungen Offiziers Suharto war.

Nicht nur Soldaten, sondern auch Mitglieder politischer Parteien und der beiden großen muslimischen Organisationen Muhammadiya und Gemeinschaft der Religionslehrer hatten sich an den Massakern beteiligt. Weil die PKI als „fünfte Kolonne“ Pekings galt, richtete sich die Wut gezielt gegen die chinesische Minderheit des Landes. Der US-Geheimdienst CIA bezeichnet die Kommunistenhatz in Indonesien deshalb heute als „einen der schlimmsten Massenmorde des 20. Jahrhunderts“. Während der Kampagne gegen die PKI aber protestierte kein westliches Land. Stattdessen erhielt die indonesische Armee PKI-Mitgliederlisten zugesteckt. Denn Suharto galt als verlässlicher Verbündeter im damals tobenden Kalten Krieges.

Mitte März hatte Wahid, ehemals selbst Chef der Gemeinschaft der Religionslehrer, erstmals offiziell erklärt, er wolle aufklären, was damals geschah. Zudem kündigte der Präsident die Aufhebung des seit 1966 geltenden KP-Verbotes an. Schon früher hatte er sich schon für die Massaker entschuldigt. Doch seitdem er die Opfer im Namen der Nation um Vergebung bat, tobt in der Öffentlichkeit eine heftige Debatte. Wahids Schritt sei „längst überfällig“, kommentierte die Jakarta Post, das Kommunistenverbot „verstoße gegen die Menschenrechte“.

Aber auch der Widerstand ist immens – nicht zuletzt im Militär. Der Chef der nationalen Menschenrechtskommission, Asmara Nababan, warnt deshalb vor einer Rebellion in der Armee.Wenn alle für die Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit verantwortlichen Offiziere angeklagt würden, so Nababan, „dann bliebe kaum noch jemand übrig“.