André Brie – Vordenker und Querkopf

Einer der führenden Intellektuellen der PDS verzweifelt an seiner Partei – und die Genossen an ihm. Beim Streit ist ein gutes Stück Theater dabei. Denn die Arbeitsteilung Bries mit Gregor Gysi funktioniert weiter

MÜNSTER taz ■ Der ehemalige Chefstratege der PDS gab sich „frustriert“. Nie sei die Chance, die PDS „links von der SPD“ als wählbare Partei zu positionieren, so gut wie derzeit. Aber, so André Brie im Radio-Interview, „diejenigen, die uns zurückzerren wollen, sind zum ersten Mal seit 1989 in der PDS wieder stärker geworden“. Brie meinte die Kommunistische Plattform.

Ob der Knatsch der PDS mit ihrem eloquenten Vordenker vielleicht nur eine Inszenierung ist? Immerhin tut es der Partei des demokratischen Sozialismus ganz gut, zu ihrem ersten Parteitag im Westen Medienrummel zu entfachen. PDS-Sprecher Hanno Harnisch zögert keine Sekunde mit der Antwort: „Mit André Brie kann man nichts inszenieren.“ Und dann folgt eine einzige Suada: dass Brie sich nie in der Programmkommission sehen lasse; dass der Parteintellektuelle lauter „denunziantische Kacke“ über die PDS absondere; dass er ein „Ei auf dem Kopf“ habe.

André Brie, 50, ist zweifellos ein Querkopf. Die Biografie des ehemaligen Parteivizes, ehemaligen Wahlkampfmanagers, ehemaligen SED-Reformers und ehemaligen Stasi-Zuträgers ist eine kunstvolle Mixtur aus Anpassung und Widerstand. Brie sei ein höchst „sonderbarer Vordenker“, urteilt einer seiner Nachfolger für Grundsatzfragen in der Partei, Thomas Falkner. Der Europaabgeordnete mache „nur Ärger“.

In der Tat hat Brie vor dem Parteitag gnadenlos provoziert. Statt die Politikfähigkeit der PDS mit Blick auf die Bundestagswahl 2002 voranzutreiben, lasse der Vorstand „über Frauenpolitik, Ökologie und den Nord-Süd-Konflikt diskutieren“, motzte Brie. Viele beschäftigten sich lieber mit Ideologie denn mit Politik. Und dann legt er noch nach. Was in der CDU „an Auseinandersetzungen stattfindet, ist faszinierend. Die Offenheit, mit der dort zur Zeit diskutiert wird, wünsche ich mir auch für die PDS“. Das saß.

Aber was fürs Publikum oft wie ein scharfer Streit ums Grundsätzliche zelebriert wird, hat in der Berliner PDS-Zentrale nie Abgrenzungen nach sich gezogen. Brie darf nach draußen stänkern so viel er will, auf Parteitagen mögen ihn die Genossen abstrafen – im Karl-Liebknecht-Haus saß der Parteistratege noch in jeder Runde, die am Profil der PDS feilte. Auch diesmal dürfte die Arbeitsteilung mit Gysi funktionieren.

Während André Brie in Illustrierten die PDS fürs bürgerliche Publikum wählbar macht, schreibt Gregor Gysi lange und einfühlsame Briefe an die Genossen. Über den in Münster nicht anwesenden Brie dürfen sich die Genossen gerne aufregen. Gysi wird ihnen danach gewiss ein sehr vernünftiges programmatisches Angebot machen – das die PDS wieder ein bisschen weiter weg bringt von der Weltrevolution und dem annähert, was Brie sich angesichts „der besten Umfragedaten in unserer Geschichte“ wünscht: dass die PDS vor der nächsten Bundestagswahl zeigt, dass sie Kompromisse einzugehen imstande ist.

Mit André Brie kann man prima inszenieren. cif