Süchtig, krank und plötzlich reich

Ein Gericht in Florida hat erstmals bei einer Sammelklage Rauchern eine Entschädigung zugesprochen. Die Tabakindustrie befürchtet nun Milliardenverluste, denn bis zu einer halben Million weiterer Klagen werden erwartet

aus Washington PETER TAUTFEST

Die frohe Nachricht für die amerikanischen Raucher, denen erstmals bei einer Sammelklage von einem Gericht in Florida eine Entschädigung in Milliardenhöhe zugesprochen wurde, kam für die drei Kläger reichlich spät: Eine Frau ist bereits letztes Jahr im Alter von 53 Jahren an Krebs gestorben. Die ihr zugesprochenen vier Millionen. Dollar werden ihrem Erbe zugeschlagen. Eine 44 Jahre alte Krankenschwester, der die sechs Geschworenen vier Millionen Dollar zubilligten, leidet an Lungen- und Gehirnkrebs. Der Dritte im Bunde geht möglicherweise leer aus, weil er die Frist für eine rechtzeitige Klage versäumt hatte. Alle drei hatten als Teenager zu rauchen begonnen und wiederholt und vergeblich versucht wieder aufzuhören.

Das Urteil kam nicht unerwartet, nachdem das gleiche Geschworenengericht im letzten Sommer geurteilt hatte, die Zigarettenindustrie habe willentlich und wissentlich Gesundheit und Leben ihrer Kunden aufs Spiel gesetzt und durch Lug und Trug ein gefährliches Produkt vermarktet.

Dennoch ist das Urteil doppelt brisant: Erstens, weil der Festlegung der Schadenersatzsumme ein weiteres Urteil über die Höhe von Strafgeldern folgen wird – das amerikanische Zivilrecht unterscheidet zwischen Schadenersatz- und Schmerzensgeld einerseits und Strafgeldern andererseits. Bei schätzungsweise einer halben Million klagewilliger Raucher könnte die Strafgeldzumessung in die Dutzende von Milliarden Dollar gehen.

Ein solches Urteil würde die Tabakindustrie derart hart treffen, dass sie sich außer Stande sähe, den Verpflichtungen nachzukommen, die ihr aus dem Deal von 1998 erwachsen. Damals hatten sich die Fabrikanten verpflichtet, 246 Milliarden Dollar über 20 Jahre zu zahlen. Mit dieser Summe war eine außergerichtliche Einigung mit den Gesundheitsministern der Bundesstaaten erreicht worden, die die Kosten der Krankenkassen aus der Behandlung von Raucherkrankheiten zurückforderten. Der außergerichtliche Deal schloss Privatklagen einzelner Geschädigter allerdings nicht aus. Zwar hat die Tabakindustrie bisher schon Gelder an einzelne geschädigte Raucher zahlen müssen, dies aber ist der erste Fall, in dem ein Gericht eine Sammelklage zugelassen hatte.

Zweitens, weil nach bisheriger Rechtslage die Tabakindustrie zwar Berufung einlegen kann, dazu allerdings eine Bürgschaft in Höhe der Summe hinterlegen muss, die das Gericht festgelegt hat. In Erwartung einer Lawine von Klagen hat die Tabakindustrie in vier Bundesstaaten die Landtage unter Druck gesetzt und Gesetzesänderungen durchgesetzt. In den Staaten mit großen Tabakanbaugebieten, Virginia, Georgia, Kentucky und North Carolina, wurden die Bürgschaftssummen begrenzt – eine Gesetzesänderung halten die Staatsrechtler für verfassungswidrig – und auch der Bundesstaat Florida, der sich seinerseits an der Klage gegen die Tabakindustrie beteiligt hat, erwägt eine derartige Gesetzesänderung. In Florida dürfen Gerichte keine Strafen verhängen, die Firmen in den Bankrott treiben.