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Sterne über Deutschland

Wenn sich in Istanbul Zeitungsverlage bekriegen, bekommen das die türkischen Journalisten in Deutschland am eigenen Leib zu spüren. Und plötzlich gibt es eine neue Zeitung gleich zweimal

von ARNO FRANK

Seit Monaten tobt in der türkischen Medienlandschaft ein erbitterter Kampf um Auflage und Werbekunden. Mit harten Bandagen und bizarren Mitteln ausgetragen, schlug der Zwist der Großverleger hohe Wellen, schwappte bis nach Deutschland – und hat sich nun vorerst vor dem Offenbacher Arbeitsgericht gebrochen: Das gab im März drei Hürriyet-Redakteuren Recht, die gegen ihre Entlassung durch die deutsche Tochterfirma Hürriyet International geklagt hatten.

Bis zum 31. Dezember 1999 hieß der Besitzer der in Frankfurt/Main erscheinenden Europa-Ausgabe von Hürriyet noch Erol Simavi, Sohn des Zeitungsgründers Sedat Simavi. Das Mutterhaus in Istanbul gehört dagegen schon seit 1997 der Dogan Media Group (DMG), die im Januar auch die Geschäfte der deutschen Depandance übernahm – und kräftig aufräumte: Der halben Redaktion wurde gekündigt, wer keinen Knebelvertrag mit dem neuen Arbeitgeber abschließen wollte, dem sollte das Ausscheiden mit einer Abfindung von ganzen 3.200 Mark pro Jahr Betriebszugehörigkeit versüßt werden – zu wenig für die Journalisten, die bisher nach deutschem Tarif bezahlt wurden: „Darum waren wir der DMG wohl zu teuer“, sagen die Kläger und pochten vor Gericht darauf, dass trotz Besitzerwechsels die Verlagsarbeit regulär weitergeführt werde – und die Kündigungen daher nicht rechtskräftig seien.

Politische Kündigungen

Die DMG lässt sich derzeit allerhand einfallen, um den Eindruck zu erwecken, dass ihre bisherigen Redakteure schlicht überflüssig sind: Auch die bisher in Frankfurt produzierten Europa-Seiten von Hürriyet würden künftig per Satellit aus der Türkei überspielt, behauptete die DMG, Redakteure vor Ort seien daher unnötig.

„Eine glatte Lüge“, so einer der Redakteure. Er hat neben finanziellen auch politische Gründe für die Kündigungen ausgemacht: „Die neuen Macher wollen keine richtigen Journalisten mehr, sondern einfach nur billige Redaktionslaufburschen“.

Die Journalisten sehen sich mit gutem Grund als Bauernopfer in einem undurchsichtigen Spiel um die Medienmacht in der Türkei. Dort kaufen die insgesamt 65 Millionen Einwohner zwar gerade mal 3,5 Millionen Zeitungen täglich. (Zum Vergleich: Die verkaufte Auflage der deutschen Tageszeitungen beträgt bei 81 Millionen Einwohnern rund 30 Millionen Exemplare). Doch um diese wenigen Leser wird von den Großverlegern mit rabiaten Mitteln gebuhlt. Einer von ihnen ist Aydin Dogan, der es vom Großhändler für Autoersatzteile und Kühlschränke zu einer Art Leo Kirch der Türkei gebracht hat. Er kontrolliert mit seinem Medienkonzern inzwischen mehr als 70 Prozent der türkischen Presse, inklusive deren Flagschiff Hürriyet. Daneben betreibt die Dogan Group neben dem zweitgrößten TV-Sender Kanal D auch den türkischen Ableger des Time-Warner-Nachrichtenkanals CNN, CNN-Türk.

Der allmächtigen Dogan-Gruppe aber erwuchs ebenbürtige Konkurrenz: 1999 gründete die Familie Uzan, bisher mit Instar, dem ältesten privaten Fernsehsender der Türkei, überwiegend im TV-Geschäft unterwegs, die Boulevardzeitung Star. Das Blatt ist in Qualität und Aufmachung in etwa vergleichbar mit der englischen Sun. Uzan warb nicht nur Journalisten bei Bilgin und Dogan ab, sondern unterbot die Mitbewerber mit sensationellen Dumpingpreisen: Umgerechnet schlappe 35 Pfennig kostet Uzans Star, nur halb so viel wie Dogans Hürriyet.

Der bisherige Platzhirsch steuerte gegen, indem er die Auslieferung des lästigen Neulings über die gemeinsame Vertriebsfirma kurzerhand sabotierte: Stapelweise sollen Star-Exemplare vom Lastwagen gekippt worden sein, anstatt den Einzelhändlern in Ankara oder Istanbul zugestellt zu werden – Uzan sah sich gezwungen, für viel Geld eigene Vertriebswege zu erschließen.

„Star“ auch in Deutschland

Und sann auf Rache: Am 24. März kaufte die Uzan-Gruppe die Hürriyet International GmbH in Neu-Isenburg bei Frankfurt/Main, Druck- und Verlagshaus der Europaausgaben aller Dogan-Blätter wie Hürriyet, Milliyet, Fanatic und der Wochenzeitung Haftasonu und kündigte an, Star künftig auch in Deutschland erscheinen zu lassen.

Sofort nach der Übernahme wurde die Druckqualität der Dogan-Blätter so schlecht, dass verbliebene Redakteure von „Sabotage“ sprechen, und die DMG verstärkt auf Druckereien in Belgien und den Vertrieb von Axel Springer ausweichen musste.

Interessant für Werbung

Der Grund liegt auf der Hand: Uzan will die DMG-Objekte schwächen, um den Weg für sein eigenes Blatt zu ebnen. Denn immerhin erreichen die in Neu-Isenburg gedruckten Blätter täglich allein in Deutschland eine halbe Million Landsleute. Diese Zielgruppe wächst und wird Dank eines steigenden Wohlstandes allmählich auch für die Werbungswirtschaft immer interessanter.

Star sollte eigentlich am 4. April erstmals ausgeliefert werden. Doch daraus wurde zunächst nichts, weil plötzlich die Dogan-Gruppe Titelschutz für den Namen Star in Deutschland beantragt hatte.

Doch Uzan nahm die Schlappe gelassen: Seit Donnerstag ist sein Star trotzdem am Kiosk – mit einem Kampfpreis von 70 Pfennig deutlich billiger als etwa Hürriyet, die 1,50 Mark kostet.

Und wieder reagierte die DMG in bewährter Manier und warf – schließlich gehört ihr ja der Name Star – gestern erstmals ihre „Abwehrzeitung“ auf den deutschen Markt: Das türkische Dogan-Blatt Gözcü heißt hierzulande jetzt einfach auch Star und ist mit 50 „Fenik“ noch billiger als das gleichnamige Konkurrenzprodukt aus dem Hause Uzan.

Über den Titelstreit haben jetzt die Gerichte zu befinden, klar verloren haben jetzt schon jegliche journalistischen Ansprüche an die beiden Blätter: „Alles, was diese Leute interessiert“, sagt einer der Hürriyet-Redakteure, „ist ganz allein ihr Profit.“

Nur beim türkischen Kiosk um die Ecke herrscht Freude über die neue, abenteuerliche Vielfalt. Hier ist alles ganz einfach: „Hürriyet ist teuer, Star ist billig. Und Star ist noch billiger.“

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