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karlheinz weinberger hat 40 jahre rocker fotografiert

Es muss 1973 gewesen sein. Die Zeitschrift Pop veröffentlichte regelmäßig Texte von Jugendlichen, die darüber schrieben, wie ihr Leben aussah. Einer war ein Rocker aus der Schweiz. Seltsam klang in seiner Geschichte vor allem die Passage, wo sein kleiner Motorradclub Besuch von echten Hell’s Angels aus den USA bekam. Der Chef-Ami-Biker soll ständig „Fuck you!“ gebrüllt haben. Als ein zuvorkommender Schweizer daraufhin die Hosen runterließ, gab es eine Massenschlägerei.Wenn man Karlheinz Weinbergers „Photos 1954 – 1995“ anschaut (Scalo Verlag, 228 Seiten, 78 DM), versteht man leichter, wie solche Missverständnisse zustande kamen. Auch bei dem 1921 in Zürich geborenen Weinberger, der im Fotoklub „Naturfreunde“ debütierte, ist die Faszination an Körperlichkeit und Gewalt homoerotisch besetzt. Stets werden die Symbole der Männlichkeit für ihn erst in der Übertragung auf rebellische Gesten erträglich – so wie sich etwa ein 1958 fotografierter Twen in äußerst knapp sitzenden Lederhosen vom glatten Schönling nur durch das Moped unterscheidet.In den 60er-Jahren setzt Weinberger den von George Platt-Lynes oder Herbert List gefeierten Athletenkörpern seine Burschen vom Lande entgegen.Der jugendliche Wunsch nach Selbstinszenierung wird im Studio des Fotografen vollends fetischisiert: Serienweise lichtet Weinberger nur den Torso mit mächtiger Elvis-Gürtelschnalle und Hosenlatzschmuck ab. Ein Rocker in Lederweste hat seinen Reißverschluss mit stählernen Containerschrauben verziert, ein anderer trägt eine faustgroße Patrone als Talisman um den Hals.Natürlich gibt es auch Mädchen in der Welt der Motorräder, aber unter dem (eifersüchtigen?) Blick des Fotografen scheinen sie sich bloß als Trophäen der Jungs zeigen zu können. Im Suff der 80er- und 90er-Jahre sind die Biker dann fast immer unter sich: Betrunken am Lagerfeuer oder verkatert auf dem Sessel beim Tätowierer. Das Dasein als Halbstarker ist kaum mehr als ein Zwischenstopp auf dem Weg ins Berufsleben, die Treffen im Bierzelt werden von Harley-Davidson gesponsert. Weinberger schaut seinen Rebellen immer noch liebevoll zu. Aber die Erregung ist einer Melancholie gewichen.  hf