Wahlkrimi bis zum Morgengrauen

Denkbar knapp entscheiden Griechenlands Regierungschef Simitis und seine Pasok die Parlamentswahlen für sich. Doch das Regieren wird nicht leichter. Die Konservativen sind gestärkt, und der Beitritt zur Euro-Zone kostet Spielraum

aus AthenNIELS KADRITZKE

Erst um zwei Uhr morgens war sich Kostas Simitis seiner Sache sicher. Der Ministerpräsident Griechenlands verkündete seinen erneuten Wahlsieg mit einem entspannten Lächeln, aber ohne Überschwang und wie immer vom Blatt. Der Vorsprung von knapp einem Prozent sichert der Pasok dank des Wahlrechts eine klare Parlamentsmehrheit, das heißt 158 von 300 Sitzen.

Noch sechs Stunden zuvor hatte die Oppositionspartei ND wie der Sieger ausgesehen. Triumphierende ND-Hooligans fuhren mit ihren blauen Parteifahnen durch die Athener Straßen, nachdem die exit polls einen Sieg des Herausforderers Kostas Karamanlis prophezeit hatten. Am Syntagma-Platz feierte der harte Kern der ND-Anhänger mit bengalischem Feuer. Als auf dem gigantischen Fernsehschirm das Ergebnis aus einem entfernten Bergdorf aufleuchtete, wo die ND gegen die Pasok mit 109 zu 35 Stimmen gewonnen hatte, stiegen Raketen in den Himmel. Die Fans hatten vergessen, dass ein Tor in der dritten Minute noch nicht den Sieg bedeutet.

In der Pasok-Zentrale herrschte um 20 Uhr Grabesstimmung. Und im Pressezentrum stimmte der türkische Starjournalist Mehmed Ali Birand vor der Kamera von CNN Turkey seine Landsleute auf den Regierungswechsel ein. Dann kippte der Trend. Kurz nach 21 Uhr lagen die Blauen und die Grünen in den Hochrechnungen exakt gleichauf. Als die Pasok um zwei Promille davonzog, formierten sich die ersten Autocorsos mit den grünen Fahnen. Dann zog die ND wieder gleich, jetzt rasten auf den Fernsehschirmen grün und blau beflaggte Kolonnen um die Wette. Um 23 Uhr hatte sich die Pasok wieder um drei Promille abgesetzt, kurz danach stand fest: Die Grünen sind mit einem blauen Auge davongekommen.

Die Regierungspartei hat am Ende landesweit gerade 70.000 Stimmen mehr als die Opposition, die gegenüber den Wahlen von 1996 deutlich zulegen und das Potenzial rechts der Mitte voll ausschöpfen konnte. Auch die Pasok hat dazugewonnen, deckt aber nur die linke Mitte ab. Links von ihr hat die spätstalinistische KKE ihren Wähleranteil behauptet, und auch die demokratischen Sozialisten des Synaspismos konnten sich über die Dreiprozenthürde retten. An der scheiterte nur die linkspopulistische Dikki, die der Pasok Wähler abspenstig machen wollte.

Das Schrumpfen der kleinen Parteien belegt einen klaren Trend zum Zweiparteiensystem. Die Stärkung der konservativen Opposition macht für Simitis das Regieren nicht leichter. Der „Erneuerer“ der Pasok ist dennoch – gerade wegen des knappen Wahlsresultats – der große Sieger. Denn auch die letzten Fans des Parteigründers Andreas Papandreou, die der alten Zeit mit ihren Slogans nachtrauern, müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Pasok ohne Simitis und seinen Kurs der linken Mitte gegen die ND verloren hätte. Damit kann der Regierungschef seiner Partei mehr Disziplin abverlangen als in der vergangenen Regierungsperiode. Die Entwicklung der Pasok zu einer sozialdemokratischen Partei europäischen Zuschnitts wird irreversibel.

Jedoch wird es der neuen Regierung Simitis nicht leicht fallen, die Erwartungen ihrer Wähler zu erfüllen. Der Beitritt zur Euro-Zone (zum 1. Januar 2001) beschränkt den Spielraum für eine Politik des „sozialen Ausgleichs“, die Simitis versprochen hat. Damit wird er sich auf Reformen beschränken müssen, die nichts kosten. Ein Geschenk an die kleinen Leute wäre ein entschlossener Kampf gegen die Korruption im öffentlichen Dienst, die trotz vier Jahren Simitis nach denselben Regeln funktioniert wie seit der Gründung des griechischen Staates.