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Die Väter im Valley

Schuldgefühle, Verzweiflung und vielleicht noch ein tröstendes Lied – Paul ThomasAndersons Berlinale-Gewinner „Magnolia“ ist eine Abrechnung mit den Fernsehvätern

von KERSTIN STOLT

Wenn die Kamera in „Magnolia“ eingangs immer wieder auf einen Fernseher zoomt, bis der Bildschirm die Leinwand füllt, dann ahnt man schon, dass die Fernseherfahrung für diesen Film den Bezugsrahmen stellt. Nicht nur, weil die Figuren, die dort auftreten, sich als Akteure des Films entpuppen (allen voran Tom Cruise mit seiner schwanzverherrlichenden Show „Seduce and Destroy“), sondern auch weil Andersons Film die eine große Erzählung in viele kleine zerlegt und auf kurze Aufmerksamkeitsspannen mit schnellen Szenenwechseln reagiert.

So was kann natürlich, vor allem wenn es länger als drei Stunden geht, besonders ermüdend sein. Anderson gelingt es jedoch, dass die zunächst unverbundenen Episoden in einen gemeinsamen Rhythmus fallen, statt nur Aufmerksamkeit voneinander abzuziehen. Die Songs von Aimee Mann (mit traurigen Refrains wie „One is the Lonliest Number“) bringen das Geschehen schnell auf einen gemeinsamen Nenner, und schließlich wird auch deutlich, dass es immer wieder um dasselbe geht, nämlich ein missbrauchtes Kind, seinen schuldbeladenen Vater und die Möglichkeit der Versöhnung.

Und um das Fernsehen eben. Earl Partridge zum Beispiel, der im Sterben liegt, war einst ein mächtiger TV-Produzent. Nachdem er seine Frau im Stich gelassen hat, erklärte ihn der Sohn für tot, geht jetzt aber mit Sprüchen wie „Respektiere den Schwanz!“ landesweit auf Sendung. Oder Jimmy Gator, der ironischerweise das Quiz „What do Kids know?“ moderiert. Dass seine Tochter ihm vorwirft, sie missbraucht zu haben, kann er nur als Hirngespinst abtun. Außerdem gibt es da noch Stanley, das Wunderkind in Gators Show, den sein Vater bloß als Geldesel wahrnimmt, und sein Spiegelbild Ex-Quiz-Kid Donnie Smith, der sich noch als Erwachsener eine Zahnspange wünscht.

Es mangelt „Magnolia“ also nicht an gut freudianischer Problematik, nur dass es unter den Bedingungen des Fernsehens schwer geworden ist, an verborgene Traumata heranzukommen. Statt in die Tiefe geht der Film eher in die Breite, ähnlich wie das San Fernando Valley, in dem er spielt. Zwar suggeriert die mangelnde Tiefenschärfe, dass man den verschwommenen Hintergrund noch erforschen kann. Wenn sich die Kamera in Bewegung setzt, eröffnet sie jedoch nur weitverzweigte Räumlichkeiten, in denen nichts Außergewöhnliches zu finden ist. Selbst als sie minutenlang durch die Flure einer Fernsehstation irrt und sich dabei an jeden heftet, der zufällig durchs Bild läuft, gelangt sie doch nur ins Aufnahmestudio.

Entgegen landläufiger Annahmen ist ein solches Studio kein Ort, an dem innere Wahrheiten ans Licht befördert werden. Aber hier, im Fernsehhauptquartier, kann der Film zumindest erhebliche Störungen registrieren. Denn es geht so ziemlich alles schief, was bei einer Live-Sendung schief gehen kann, unter anderem weil sich niemand darum schert, dass Stanley auf die Toilette muss. Ähnlich katastrophal verläuft das Interview, das der selbst erklärte Meister der Mösen einer Fernsehjournalistin gibt. Ihre beharrlichen Fragen nach seiner Vergangenheit werden so bedrohlich, dass er bald nicht mehr reagieren kann und wie versteinert die Zeit aussitzt. Kurz, die Telekommunikation funktioniert nicht mehr, es wird ernst.

Das macht auch die stürmische Wetterlage deutlich, die den ausgehöhlten Figuren ein Gutteil ihrer Trauerarbeit abnehmen muss. Denn den Nachkommen der Fernsehväter ist kaum mehr geblieben als widersprüchliche Impulse, die sie hilflos ausagieren. Selbst die junge Ehefrau von Earl Partridge (Julianne Moore) kann sich nie zwischen Schuldgefühlen und Überheblichkeit entscheiden und reagiert auf jeden, der ihr eine Frage stellt, mit hysterischen Attacken. Unter Druck drohen die Figuren eben leicht auseinander zu fallen. Deshalb greift der Film ihnen dramaturgisch unter die Arme, mit kathartischen Naturereignissen und einem tröstenden Lied, in dem jeder ein Stückchen mitsingen kann. Den Vätern allerdings wird die Erlösung am Schluss vorenthalten, sie sterben oder sollten es tun. Nur die Stelle des Übervaters ist immer noch besetzt; da lassen die biblischen Plagen, die vom Himmel fallen, gar keinen Zweifel aufkommen.

Nicht dass Anderson hier das alte Testament hochhält. Aber er reinstalliert auch eine Vaterfigur, die ihre Macht dadurch beweist, dass sie absurde Einfälle als sinnfällige Ereignisse präsentiert und selbst der flächigen Fernsehwelt eine ordentliche Geschichte abringt. Soll heißen: Analog zu dem wohltätigen Gesetzeshüter, der hier eine kleine Erzählerfunktion innehält, behauptet sich der Autor als höhere Instanz.

Damit nimmt der Generationskonflikt noch eine ganz andere Bedeutung an. Denn der eher Kunst schaffende Autor ist weder im Fernsehen noch in Hollywood eine wohlgelittene Gestalt. Und zwar seit zwanzig Jahren nicht mehr, wenn man mal von Scorcese und Altman absieht ( diesen Regisseuren ist Anderson mit seinen Kamerafahrten, der sprunghaften Erzählweise und dem Ensemblespiel auch besonders zugetan). Im Vergleich zum alten New Hollywood arbeitet sich Anderson aber sehr viel mehr am Fernsehen ab. Deshalb spielt sich der Autor hier nicht nur effektvoll in den Vordergrund, er setzt auch gleich die Sendeverantwortlichen ab.

„Magnolia“. Regie: Paul Thomas Anderson, Mit: Julianne Moore, Tom Cruise u. a. USA 1999, 189 Min.

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