Weltzwischenräume

DAS SCHLAGLOCH von KERSTIN DECKER

Die PDS: Vorne Fregatte, Gysi, die Bries, die Reformer, hinten Panzerkreuzer

Im Rahmen eines Sachverständigengutachtens wurde festgestellt, dass Urinspritzer zum Rosten der Heizkörper führen (Sprühbereich). Um diese Ursache auszuschließen, darf die Toilette grundsätzlich nur im Sitzen benutzt werden.

Wohnungsgesellschaft Radeburg mbH an 485 Mieter

Unsere Familienministerin will ein Gesetz gegen die Ohrfeige als Erziehungsmittel. Seit sieben Tagen ist das menschliche Erbgut entschlüsselt. Eine sächsische Wohnungsgesellschaft schrieb ihren männlichen Mietern, dass die Toiletten grundsätzlich im Sitzen zu benutzen seien, um einer Schädigung der Heizkörper vorzubeugen. Und auch die PDS ist nicht mehr, was sie bis Sonntag noch war.

Drei Wir-bestimmen-die-Grenzen-Nachrichten und eine absolute Entgrenzungsnachricht. Natürlich, das Datum der Erbgutentschlüsselung wird man noch nach Jahrhunderten kennen, wenn sich kein Mensch mehr an das Sachverständigengutachten der Wohnungsgesellschaft Radeburg erinnern kann, wonach sich die Heizkörper im „Sprühbereich“ befinden. Dabei gehören beide zusammen, die DNS- und die WC-Nachricht. Unser Erbgut liegt ab sofort offen wie ein riesiger Legobaukasten. Wer weiß, wie man damit spielt, wird nicht widerstehen können. Das kennen wir vom Lego. Im selben Augenblick aber wird dem männlichen Radeburger das über Jahrtausende evolutionär erworbene Recht abgesprochen, jeder Lebenssituation, noch der unbedeutendsten – der Mann im Bad –, aufrecht zu begegnen anstatt in heizkörperfreundlicher weiblich-geduckter Defensivhaltung. Ist das nicht ein Zeichen?

Die Klone künftiger Äonen werden nichts mehr wissen von den Dingen, die man im Stehen tat. Sie kommen ja ohnehin nicht mehr durch die Begegnung von Mann und Frau auf die Welt. Der Mann muss sich hinsetzen genau in dem Augenblick, da er beginnt, für den Erhalt des Menschengeschlechts überflüssig zu werden. Allein zu solchem Zwecke aber hat die Natur – wie sich am Beispiel des Tierreichs lernen lässt – diese doch etwas parasitär veranlagte Spezies hervorgebracht. Um das zu verstehen, braucht man nur eine Frage stellen: Wer putzt das Klo? Ist, so gesehen, die Radeburger Wohnungsgesellschaft nicht eine versteckte Vorhut der Frauenbewegung?

Es ist schwer mit den Avantgardisten, den Fortschrittlichen überhaupt. Man versteht sie fast immer, und hat doch auch ein bisschen Angst vor ihnen. Vor einem Jahr, als noch keiner was von dem Vorstoß der Radeburger Wohnungsgesellschaft wissen konnte, dachte eine Politikerin der Grünen laut über das Hausarbeitsgesetz für Männer nach. Mit Hilfe des Mannes im Haushalt, juristisch einklagbar! Und nun kommt Christine Bergmann und will ihr Anti-Ohrfeigen-Gesetz. Denn Christine Bergmann denkt genau wie die PDS. Keine Gewalt! Es sind die letzten Kantianer. Sie wollen Erkenntnisse vor jeder Erfahrung. Sie wollen Prinzipien. Retten uns nicht nur feste Prinzipien in einer immer prinzipienloseren Welt?

Machen wir das mal an der PDS fest, die eben gerade ihren Parteivorstand mit überwältigender Mehrheit überstimmte. Das ist neu. Irgendwann im März hat Uwe-Jens Heuer, der Vordenker des Marxistischen Forums in der PDS, den Genossen das mit den UNO-Einsätzen mal erklärt. Wir müssen da ganz fest sein, hat er gesagt, wir brauchen Prinzipien! Machen wir die Tür auch nur einen Spalt auf, sind wir verloren. – Die Genossen verstanden sofort, es klang fast wie früher. Spontaner Beifall. Uns kriegt der Klassenfeind nicht! Die alte Entschlossenheit stand in den Gesichtern.

Aber das mit dem Klassenfeind hatte Heuer gar nicht gesagt. Er erklärte die Sache vielmehr mit Odysseus. Odysseus kam auch nur an den Mast gefesselt zwischen den Sirenen hindurch. Die modernen Sirenen aber sind die „Massenmedien“, die noch aus jedem Krieg eine humanistische Mission machen. Sagt Heuer. Darum müsse die PDS werden wie Odysseus. Fest an den Mast gebunden mit Wachs in den Ohren. Das hat sie nun auf ihrem ersten Parteitag im Westen geschafft. Sie steht geknebelt am Mast. Die Selbstfesseler-Partei.

Die PDS emanzipiert sich von denen, die sie vor zehn Jahren gerettet haben. Gysi und Bisky verlassen das Schiff. Die Odyssee beginnt. Wahrscheinlich hatten Bisky und Gysi den Rückzug von der Kommandobrücke schon länger vor und wollten deshalb das neue Parteiprogramm. Das Steuer festbinden, die zweifelhaften Ersatzkapitäne wenigstens programmatisch entmachten und sorgenfrei für immer an Land gehen. Dass sie inzwischen so allein stehen auf Deck, haben sie wohl nicht geahnt. Oder doch. Denn auch Gysi schrieb seinen Genossen kürzlich einen Brief. Genau wie die Radeburger Wohnungsgesellschaft. Auch er handelte von Rostschäden, vom „linken Dogmatismus“ überhaupt. Nur dass Gysis Brief 28 Seiten hatte. Damals, vor einem Monat, hatte man die Programmerneuerungsgegner noch beinahe verstanden. Vielleicht war es gar nicht bloßer „Dogmatismus“, sondern die Angst vor dem Aufgesogenwerden. Die Angst, bald wie die anderen zwar politikfähig, aber eine Partei ohne Eigenschaften zu sein.

Und jetzt die PDS am Mast. Trotzdem ist sie nicht Odysseus. Denn die alten Griechen betrieben nur Küstenschifffahrt. Immer Land sehen! So wollten es auch Gysi und Bisky. Der neue Kahn PDS aber fährt weit hinaus. Vielleicht werden wir ihn bald vom Ufer aus nicht mehr erkennen können. Und Heuer steht selbst gefesselt an Bord und sucht eine Insel. Kuba? Die Konturen des Sozialismus müssen erkennbar bleiben, hat er gesagt.

Oder der PDS-Kahn bricht schon vorher auseinander. Er ist ja ohnehin aus zwei Teilen gezimmert. Vorderteil Fregatte, Gysi, die Bries, die Reformer, Hinterteil Panzerkreuzer. Nicht unbedingt seetauglich. Aber was sie in Münster entzweit hat, war die Abstraktheit des Guten. Wahrscheinlich musste Sylvia-Yvonne Kaufmann nach ihrer Keine-UNO-Einsätze-mit-der-PDS-!-Rede deshalb so weinen. Aus Erschütterung über die eigene Gutheit. Gültige Erkenntnisse vor jeder Erfahrung. Gewalt niemals!

Klone künftiger Äonen werden nichts mehr wissen von dem, was man im Stehen tat

Das findet die Familienministerin auch. Natürlich ist eine Welt ohne Ohrfeigen viel schöner als eine Welt mit Ohrfeigen. Ohrfeigen sind keine körperliche Züchtigung, aber sie bedeuten das Ende des Gesprächs. Sie markieren eine Grenze. Darf es ein Ende des Gesprächs geben? Sozialdemokratisch und fortschrittlich gesehen nicht.

Derweil erstaunen immer mehr Eltern darüber, dass ihre Kinder zu Ausrufesätzen fähig sind, die ihnen nie in den Sinn gekommen wären. Zumindest nicht gegenüber den Eltern. Ein kleiner Junge in der U-Bahn sagt „Du Arschloch!“ zu seiner Mutter, weil er seinen Ball nicht bekommt. Hätte sie nicht spätestens jetzt, hätte sie nicht schon viel früher ...? Aber sie hat nie. Der Übergang von der autoritären Erziehung zum „Konsensmodell“ fand schon vor dreißig Jahren statt. Inzwischen möchte man manchmal eher die Eltern vor ihren Kindern schützen. Und uns alle vor dem Terror des Guten.

Denn die Weltzwischenräume, in denen wir miteinander leben, noch ungezüchtet, ungeklont, sind selbst nicht gesetzesförmig. Es sind atmosphärische Gemeinschaften. Nicht wirklich von außen regelbar. Erst wenn der natürliche Weg der Fortpflanzung die Ausnahme geworden sein wird, mag sich auch das ändern.