100% Fingerkontrolle

Im Mojo Club zeigt Kid Koala, was man alles mit zwei Plattenspielern anstellen kann  ■ Von Uh-Young Kim

„Wie haben sie das bloß gemacht?“ Diese Frage stand am Anfang der DJ-Karriere von Eric San aka Kid Koala. Neugier macht sich bezahlt: Der 25-jährige Feintaktilist aus Montreal/Kanada zählt heute zu den bekannsteten Vertretern des turntablism, einer Disziplin der HipHop-Kultur, die auf der Grundlage von zwei Plattenspielern, einem Mischpult und jeder Menge Vinylscheiben derzeit für sperrangelweit geöffnete Münder sorgt.

Als er 12 Jahre alt war, bestaunte Eric die Produktionstechniken der ersten Public-Enemy-Alben und Soundbearbeitungen von Cheech & Chong-Kiffer-Filmen, später dann die Scratch-Techniken der ersten Videos von DJ-Meisterschaften. Seine aus Hongkong stammenden Eltern mussten irgendwann einsehen, dass es keinen Sinn mehr hatte, die musische Bildung ihres Sprößlings weiterhin mit Fingerübungen am Piano zu forcieren. Eric hing an der (Platten-)Nadel, baute die Stereonalage seiner Schwester um und versuchte sich an ersten Low-Fi-Scratches.

Seit die britische Dance-Music-Legende und Gründer des Ninja-Tune-Labels, Coldcut, auf ihn aufmerksam wurde und Money Mark ihn mit auf Tour nahm, scheint sich die ganze Welt um den Turntable-Wizard zu reissen – ist er mit seiner unkomplizierten, offenen Art und Weise doch der Link zu einer Welt, die deine Eltern ganz sicher nicht mehr verstehen. Turntablism, lange Zeit als Geheimwissenschaft gehandelt, erreicht durch Kid Koala ein Publikum, das nicht notwendigerweise mit Baggy-Jeans, Edding und Daunenjacke ausgestattet sein muss. So hat er auch den in der Hip-Hop-Kultur verwurzelten DJ-Battles den Rücken zugekehrt: zu viel Stress, zu enge Formate, zu wenig Musikalität. Die pflegt er lieber in seiner Bass-Schlagzeug-Gitarren-Formation Bullfrog, bei der er lernte, spontan auch auf Mitmusiker einzugehen – und im Bandkontext die Isolation des DJs hinter sich ließ.

Um die hochkomplexe motorische Koordination der Finger sowie ein Arsenal an Techniken („skills“) zu erlernen, braucht es nicht weniger als eine ganze Jugend in einsamen Kellerräumen. Ein Turntablist verschmilzt geradezu mit seinem Plattenpieler – die Mensch-Maschine mit reduzierten Mitteln, maximalem Erfindungsreichtum und fanatischster Nerdigkeit. Der Plattenspieler hat durch Turntablism nicht nur den Sprung zum anerkannten Musikinstrument geschafft, er ist im Beggriff, sich auch als eines der vielseitigsten unserer Zeit zu erweisen. Ähnlich wie bei der unendlichen Einsatzfähigkeit eines Samplers stehen dem Turntablisten sämtliche je auf Vinyl gepressten Klänge zur Bearbeitung zur Verfügung. Diese können nicht nur mit unmenschlichem Tempo hin- und hergescratcht werden, sondern zerstückelt, rückwarts gespielt, vervielfacht, aneinandergereiht, per Pitch tonal verändert und – eine von Koalas Spezialitäten – gegen die Laufrichtung des Plattenspielers verzerrt werden.

Für ungeübte Ohren mag sich das nach Krach anhören. Die Fähigkeit des Turntablisten liegt jedoch darin, diese Kollision von Sounds unter Kontrolle zu halten und in Rhythmus zu verwandeln. Koala fügt dem eine narrative, visualisierende Dimension hinzu – nachzuhören auf seinem jüngst erschienenen Album Carpal Tunnel Syndrome (dtsch.: Sehnenscheidenentzündung). Das gleicht einem informationsüberfluteten Hörspiel, das der Meister selbst als „Muppets auf Turntables“ bezeichnet. Neben Breaks, nach denen sich andere DJs die Finger lecken, atomisiert Koala Soundschnipsel von Vinyl, um etwa die Straßenszenerie vor seiner Montrealer Wohnung oder das Meckern des Nachbarn nachzustellen.

Live erwartet uns ein nicht minder fantastisches Set mit drei Plattenspielern, zwei Mischpulten und keinem (!) Kopfhörer: Platten fliegen durch die Luft, Hühner gackern im 32stel-Stakkato, Trompeten-Sounds werden über Jazz-Loops improvisiert und so virtuos malträtiert, dass wir uns alle fragen werden: Wie hat er das bloß gemacht?

heute, 20 Uhr, Mojo Club