Bossa Noise

Die Stimme, die Gitarre und die Differenz zwischen Krach und Karneval: Arto Lindsay spielte in Berlin

Auftritte des amerikanischen Musikers Arto Lindsay in Deutschland waren in den letzten Jahren ersatzlos gestrichen worden. Dass der in Brasilien aufgewachsene und in New York lebende Lindsay zuletzt auch ohne Livekonzerte mit einer beeindruckenden Medienpräsenz glänzte, lag an der Faszination seiner vier Soloalben, die er in den letzten Jahren im Stakkatotakt veröffentlichte. Auf diesen hatte Lindsay Gitarrenrückkoppelungen und Gepolter hinter sich gelassen und stattdessen mit wechselnden Musikereliten an einer modernen Neufassung des Bossa Nova gearbeitet.

Als Arto Lindsay die Bühne des gut gefüllten Tränenpalastes betritt, schlägt ihm und seiner aus Vinicius Cantuaria (sitzend, E-Gitarre), Melvin Gibbs (stehend, E-Bass), Skooter (sitzend, Schlagzeug) und Yoshimurirmuri (stehend, Keyboard, Sampler, Trompete) bestehenden Band entschiedener Applaus entgegen. Die Band spielt zum Auftakt den Titelsong des im vergangenen Herbst erschienenen Albums „Prize“. Im Original ist das eine melancholische, vertrackt verdichtete Ballade, auf der Bühne der einstigen Grenzübergangshalle spannend, emotional und ungemein lässig.

Diese Gitarre! Vor allem: Diese Stimme! Entlastet durch eine sensationell aufspielende Band, die die minimalistischen Arrangements seiner in den letzten Jahren geschriebenen Songs verinnerlicht hatte, und ungeachtet etlicher technischer Probleme auf der Bühne, sang Lindsay abstrakte Liebeslieder wie „Podeficar“, „Ondina“ oder eine Version von Al Greens „Simply Beautiful“ mit verbindender Wärme. Während das Gitarrenspiel des in Brooklyn lebenden Brasilianers Cantuaria der Auslassung Gestalt gab, dekonstruierte Lindsay mit akkordlos angeschlagenen Verzerrungen und Gitarrenrückkoppelungen die offenen Strukturen seiner Songs.

Cool ist nur ein anderes Wort für das Auftreten der fünf Musiker. Als anhaltende Monitorprobleme die Band für endlose Sekunden verstummen lassen, wird ein Zwischenrufer aus dem Publikum, der die Stille auf der Bühne zwischen zwei Songs für ein joviales „Come on!“ nutzt, mit einem bestimmten „Fuuuck you!“ zurechtgewiesen. Längst hat die Band die Balance zwischen Reduktion, Kubismus und Poesie gefunden.

Als Lindsay völlig unerwartet mit „Amantes Cinza“ einen brasilianischen Karnevalskracher zündet, tanzt der Tränenpalast. Die Band dehnt in der Folge die Distanz zwischen Krach und versöhnlichen Stimmungen in Moll, dass die Worte des Sängers nach der dritten Zugabe, wonach die entfesselten technischen Probleme „some emotion“ freigesetzt hätten, nur noch aussprechen, was über die Körpersprache der Musiker und die Intensität der Performance ohnehin bereits übertragen worden war. Angeblich will Arto Lindsay seine kurze Deutschlandtour im Herbst fortführen. Wer's glaubt wird selig. Wer das Konzert gesehen hat, ist es bereits. MAX DAX