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: SALTO MORTALEIN BRÜSSEL

Das Europaparlament ist gestern auf ganzer Linie eingeknickt. Zu stark war wohl der Druck der Gentech-Lobby. Sie wusste mit aller Macht zu verhindern, dass der Schutz von Umwelt und Gesundheit ein größeres Gewicht bekommt. Wieder einmal ging es um die Freisetzung von genmanipulierten Organismen. Bei der Überarbeitung der entsprechenden EU-Richtlinie haben die Europaparlamentarier in allen drei zentralen Punkten einen Rückzieher gemacht, die zur Entscheidung anstanden.

Vor einem Jahr noch, bei der ersten Lesung, preschte das EU-Parlament vor. Erstens sollte die Industrie haften, falls ihre im Labor kreierten Pflanzen oder Tiere Schäden in der Umwelt oder bei Menschen verursachen. Zweitens sollte verboten werden, künstlich Resistenzen gegen Antibiotika in Pflanzen einzuschleusen. Und drittens sollten nur noch Gentech-Organismen freigesetzt werden und in den Handel kommen, die sich nicht durch Pollenflug oder Auswilderung unkontrolliert verbreiten können. Es ging darum, genetische Umweltverschmutzung zu verhindern. Nichts davon ist übrig geblieben. Die Mehrzahl der EU-ParlamentarierInnen hat einen zirkusreifen Salto mortale vollzogen.

Dabei sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass die Gen-Industrie für mögliche Schäden ihrer Retortenprodukte haftet. Warum nur wehren sich die Lobbyisten dagegen? Schließlich versuchen sie doch unermüdlich, davon zu überzeugen, dass ihre Produkte völlig harmlos seien. Entsprechend wird der Umweltbewegung ständig vorgeworfen, sie würde die Gefahren der Gentech ungerechtfertigt aufbauschen. Doch wenn die Laborprodukte tatsächlich so unproblematisch wären – dann müsste die Industrie eine umfassende Haftungsregelung nicht fürchten. Im Gegenteil: Sie wäre eine vertrauensbildende Maßnahme – und eine glaubwürdige dazu.

Nachvollziehbar ist noch, dass die Gentech-Industrie sich gegen eine pauschale Zwangsversicherung wehrt. Sie würde in jedem Fall Geld kosten – auch wenn es gar nicht zu Schadensfällen kommt. Aber im EU-Parlament ist auch eine sehr viel weichere Regelung gescheitert. Sie wollte nur das Prinzip der Haftung als solches festschreiben.

So bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Glaubt die Gentech-Industrie etwa nicht an ihre eigenen Verlautbarungen? Ist der Schadensfall vielleicht doch nicht nur eine rein theoretische Überlegung?

WOLFGANG LÖHR

wirtschaft und umwelt SEITE 9