Wechselnde Botschaften

Sandalen sind eine modische Vokabel für Fortgeschrittene. Anders als Sneakers verweigern sie nicht nur Form und Repräsentation, sondern auch die Referenz auf Leistung und Erfolg. Damit sind sie inkompatibel mit Macht und Hierarchien und kein Schuh für Chefs und Gewinner. Stattdessen sind sie die erste Wahl von Aussteigern und Quertreibern, früher einmal auch Reformapostel und Hippies genannt. Das liegt in ihrer Geschichte begründet, die sich als Subtext in ihr Riemenwerk eingeschrieben hat.

Nachdem im alten Griechenland Sandalen das Schuhwerk der freien Polisbürger waren, bevorzugten die republikanischen Römer den geschlossenen Calceus. Mit Ausnahme des Militärs wurden Sandalen nur im Haus getragen, galten als kultureller Fremdeinfluss und Ausdruck eines bedenklichen Individualismus nach griechischem Vorbild. Mit dem Niedergang des römischen Reiches verschwanden sie aus der europäischen Garderobe, bis sie die Französische Revolution tausend Jahre später als vermeintlich republikanische Frauenschuhmode wiederbelebte.

Es waren Kurpfarrer Sebastian Kneipp und einige zivilisationsmüde Lebensreformer des 19. Jahrhunderts, die der Sandale endgültig den Stempel des Antibürgerlich-Pazifistischen verpassten, indem sie den luftigen Schlappen als Alternative zur „Verkümmerungsmaschine Schuh“ (Kneipp) propagierten. Die ersten Anhänger der Sandale waren Nudisten, Vegetarier, Wandervögel und Pfadfinder; bis in die Vierzigerjahre konnte sie sich als gern getragenes hygienisches Freizeitschuhwerk etablieren, bei beiderlei Geschlecht und tendenziell allen Gesellschaftsschichten.

Als sich die Nachkriegsmode für Pfennigabsatz und nadelspitze „Let-kiss“-Schuhe begeisterte, wurden Sandalen modisch marginalisiert und in eine Heinz-Erhardt-Biederkeit abgedrängt. Die Sechzigerjahre mit ihrem Sinn für Form, Future und Funktion brachten wieder ultraschicke Sandalen für Männer, in denen sich selbst Steve McQueen nicht genierte. Bis 1968 die Hippies die Sandale beschlagnahmten und zum Markenzeichen der Kiffer und Blumenkinder machten.

Eine Mode, die die Yuppies der Achtzigerjahre verabscheuten. Worauf sie – im Ringen um Distinktion und gesellschaftliche Wettbewerbsvorteile gegenüber den Hippies als entthrontem Leitbild der verflossenen Siebziger – das Märchen vom „schlechten Geschmack“ der Sandalenträger erfanden. Ein erstaunlich hartnäckiges Urteil, das diese Schuhe bei Fourtysomethings bis heute chancenlos diskreditiert.

An den jungen Konsumenten der Gegenwart rauscht das alles vorbei. Die haben Sandalen Anfang der Neunziger als Trekkingmodelle kennen gelernt mit Profilsohle, Nylonstraps und Klettverschluss und als überzeugend praktisch für Sport und Fun-Aktivität sofort akzeptiert. Damit war die Umprogrammierung der Sandale vom Spießer- und Hängermodell auf das Image von Modernität, Mobilität und Abenteuer perfekt. Neue maskuline Ledermodelle von „Ralph Lauren“ bis „Hugo Boss“ zogen nach und fanden reißenden Absatz. Wovon wiederum Klassiker wie „Dr. Scholl“ und „Birkenstock“ profitierten, die dadurch das alte Müsli-Image abstreifen und als Fashion Karriere machen konnten.

Und heute? Kräht kein Hahn mehr nach den alten Vorwürfen, die in Wahrheit nie ein ästhetisches Urteil waren, sondern Ausdruck bänglichen Sorge, sich in Hippie-Schlappen statt für Aufstieg für das gesellschaftliche Abseits zu qualifizieren. Mit Turnschuhen zu imponieren und zu provozieren ist da eben die Nummer sicher. NIKE BREYER