: Der Zögling gedeiht
Sechs Jahre ist die NFL Europe geworden, alt genug, um endlich auch im Heimatland des American Football ernst genommen zu werden
Aus BerlinTHOMAS WINKLER
Das Hotel ist klein, aber sehr fein. Es liegt im beschaulichen Berliner Nobelviertel Grunewald. Sogar der Pressechef aus dem fernen Amerika zeigt sich ein wenig beeindruckt. „Nice place“, meint Pete Abiante, als er über dicke Teppiche den Weg zur Suite seines Chefs weist.
Der Chef heißt Paul Tagliabue und ist der so genannte Commissioner der National Football League (NFL), also der Präsident der reichsten Profisportliga der Welt. Tagliabue und sein Stab sind auf Inspektionsreise in Europa, um die Bemühungen und künftigen Entwicklungsmöglichkeiten des Konzerntöchterchens NFL Europe zu begutachten. Wenige Tage vor dem Start der sechsten Saison, deren erste Spiele heute stattfinden, befindet der Commissioner, man sei zufrieden mit dem Stand der Dinge.
Wohlwollende Signale
Tatsächlich ist man so zufrieden, dass man über eine Ausweitung der Liga von momentan sechs auf möglicherweise demnächst acht Klubs nachdenkt. Dazu hat man auf dieser Reise Gespräche geführt in Städten, die wohlwollende Signale ausgesendet haben. Man war in Frankreich und Italien, aber auch in Warschau, „weil man uns gesagt hat“, so Tagliabue, „dass dort große Wachstumsraten zu erwarten sind“.
Auch Hamburg hat sich interessiert gezeigt, aber ein viertes deutsches Team nach Frankfurt Galaxy, Düsseldorf Rhein Fire und Berlin Thunder wird es wohl vorerst nicht geben. Das glaubt zumindest Bill Peterson, seit vergangenem November Präsident der NFL Europe. Allerdings sieht er seine Liga in der etwas ferneren Zukunft gar mit zehn bis zwölf Teams agieren, und dann wäre auch wieder Platz für weitere deutsche Teams.
Berlins Reifeprozess
Bis dahin muss erst einmal die Dependance in Berlin in ihrem zweiten Jahr die in sie gesteckten Erwartungen erfüllen. In der ersten Saison blieben die Besucherzahlen um mehr als 20 Prozent hinter dem zurück, was Michael Lang, der General Manager von Thunder, als Ziel ausgegeben hatte. Die Gründe dafür sieht man vor allem in der zu kurzen Vorbereitungszeit: Die Hauptstadt war noch nicht reif für das neue Unterhaltungsprodukt. Nun ist es eingeführt, aber mit Zahlen hält man sich jetzt lieber zurück.
„Wir wollen Entwicklung sehen“, sagt Peterson, „es gibt keine Magic Numbers.“ In Düsseldorf habe man dereinst vergleichbar angefangen: „Wenn man dahin schaut, sollte Thunder in vier Jahren bei mehr als 20.000 Zuschauern sein, aber so läuft das natürlich nicht immer.“
Längst hat man erkannt, dass die Unterschiede zwischen europäischen Ländern größer sind als die zwischen US-amerikanischen Bundesstaaten. „Wir passen das Marketing an die lokalen Gegebenheiten an“, sagt Peterson.
Qualität steigt
Doch das grundsätzliche Erfolgskonzept ist überall dasselbe: Die glückliche Synthese aus Spitzensport und Unterhaltung. Ersteres wird garantiert durch Showprogramme vor dem Spiel und Feuerwerk danach. Zweiteres bleibt noch ein Problem. Tatsache ist: Es gab enge und spannende Spiele mit durchgängig vielen Punkten zu sehen, aber diese Punkte kamen nicht selten durch hanebüchene Fehler der Gegner zustande. Commissioner Tagliabue allerdings legt Wert darauf, dass sein Produkt ein gutes Produkt ist: „Die Qualität der Spiele wird immer besser.“ Ein Indiz dafür, so Tagliabue, ist der Erfolg von Kurt Warner. Der frühere Quarterback der Amsterdam Admirals gewann nicht nur den letzten Super Bowl mit den St. Louis Rams, sondern wurde auch noch zum MVP, also wertvollsten Spieler, des Endspiels gewählt. Eine Ehrung, die ihm bereits zum Ende der regulären NFL-Saison widerfahren war, nachdem er beinahe einen neuen Touchdown-Rekord aufgestellt hatte. „Warner war ein guter Quarterback, als er in Europa spielte“, sagt Tagliabue, „aber er war nicht alles überragend. Das sagt viel über die Qualität des Footballs in der NFL Europe.“
Auch wenn dieser Rückschluss zu einfach ist, eines hat die märchenhafte Erfolgsstory von Kurt Warner auf jeden Fall bewirkt: „Definitiv“ habe er eine verbesserte Reputation der NFL Europe bei Managern und Coaches von NFL-Teams festgestellt, versichert Tagliabue: „Immer mehr NFL-Offizielle sind gewillt, Spieler hierher zu schicken. Darüber sind wir sehr froh, das hatten wir nicht so schnell erwartet.“
In den Anfangstagen der NFL Europe wurde die Qualität der Trainer angezweifelt und zudem befürchtet, dass sich die teuren Nachwuchsspieler unnötig verletzten könnten. Mittlerweile ist die Liga als Fortbildungsakademie akzeptiert, nicht nur weil Spieler aus der zweiten Reihe hier Spielpraxis sammeln können. Headcoaches bietet sich gar die Möglichkeit, Talente auf bislang ungewohnten Positionen zu testen.
Loyale Fans gefragt
Nur einer von 31 Klubs des Mutterunternehmens hat keinen Akteur für die kommende Spielzeit des Konzerntöchterchens abgestellt. Wird die Liga immer besser, stürzt sie das in ein neues Dilemma: Die Spieler, die sich in Europa bewähren, schaffen meist auch in den USA den Durchbruch. So spielen die Herausragenden immer nur eine einzige Saison in der NFL Europe. Zu kurz, um sie zu Stars aufzubauen. Aber: „Teams brauchen Kontinuität und Gesichter, die zurückkehren, um eine loyale Fanbasis aufzubauen“, weiß auch Tagliabue. „Aber darauf gibt es keine schnelle Antwort.“
Auch Peterson glaubt nicht an eine „einfache Lösung“ für dieses Problem. „Wir versuchen, die Fans zu Fans des Teams zu machen“, aber perspektivisch müsse wohl „mehr einheimisches Talent entwickelt werden“. Auch davon wird abhängen, ob die NFL Europe eine ihrer Vorgaben erfüllen wird, nämlich sich irgendwann einmal selbst zu finanzieren.
Einen Zeitplan allerdings, versichert Peterson, gibt es dafür nicht. Wenn die Liga erfolgreicher wird, wird sie eher weiter vergrößert, als dass man sie schwarze Zahlen schreiben lässt. Schätzungsweise zwei Drittel des Gesamtbudgets von 40 Millionen Dollar erwirtschaftet die NFL Europe bereits jetzt selbst über lokale Sponsoren und Eintrittsgelder.
Was die NFL noch zuschießen muss, liegt nicht wesentlich über dem Jahresgehalt eines Spitzen-Quarterbacks. So billige Werbung für das Produkt Football wäre sonst kaum zu haben, und selbst im Heimatland rentiert sich die Investition zusehends: Stolz berichtet Peterson, dass Übertragungen der NFL Europe bessere Quoten als manches normale Saisonspiel der Eishockeyliga NHL erzielte.
Langfristige Investitionen
„Die NFL sieht die NFL Europe als eine sehr langfristige Investition“, sagt Peterson, „wir wollen den Sport weltweit etablieren.“ Tagliabue allerdings schränkt die Euphorie seines Angestellten ein wenig ein. Man sei realistisch, „Fußball wird immer die Nummer eins in Europa oder Südamerika bleiben.“ Also werde man sich vorerst auf Europa, Nordamerika und Japan konzentrieren, auf Gebiete, in denen es bereits ein ausdifferenziertes Angebot an Profisportarten gebe.
„Football-Spiele in Peking“, so der 60-jährige Tagliabue schmunzelnd, „werde ich wohl nicht mehr erleben.“ Warum eigentlich nicht?
Die Ansetzungen am heutigen ersten Spieltag der NFL Europe: Berlin Thunder - Frankfurt Galaxy Rhein Fire - Barcelona Dragons Scottish Claymores- Amsterdam Admirals (So.)
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