Lieber Bill

Allan Sekulas offener Brief an Bill Gates auf einem Rotterdamer Bauzaun

Gegen Ende des Millenniums tobte in Seattle der Protest gegen die Welthandelsorganisation WTO, und der Fotograf Allan Sekula ging mit einer Unterwasserkamera baden. Knapp über der Wasseroberfläche, wie ein U-Boot auf Schleichfahrt, fängt er drei Bilder ein: das in der Dämmerung hell leuchtende Hightechhaus von Bill Gates, ein augenzwinkerndes Selbstporträt mit Badekappe und Schwimmbrille, ein Motorboot. Die See ist ruhig, doch das Wasser steht ihm bis zum Hals. Dazu schrieb Sekula einen Brief:

30. November 1999

Lieber Bill Gates, neulich bin ich an deinem Traumhaus vorbeigeschwommen, habe aber nicht Halt gemacht, um anzuklopfen. Offen gesagt – deine Unterwassersensoren machten mir Sorgen. Ich hätte gerne mal einen Blick geworfen auf Winslow Homers „Verloren auf der Großen Barke“. Ein tolles Gemälde, doch als Freund und Mitbürger muss ich sagen, dass du mit 30 Millionen Dollar zu viel gezahlt hast. DER HÖCHSTE PREIS, DER JE FÜR EIN AMERIKANISCHES GEMÄLDE BEZAHLT WURDE!!! Was interessiert dich eigentlich an einem Bild zweier armer, verlorener Fischer, die gerade in vollen Segeln in eine Nebelwand schauen? Sie sind so obenauf, wie sie nur irgend sein werden, bis die See hässlicher wird. Sie werden sterben, weißt du, und es wird kein schöner Tod sein. Und bei dir, Bill, wenn du im Netz bist, bist du verloren? Oder gefunden? Und der Rest von uns – verloren oder gefunden – sind wir drauf oder drin? Dein Freund

Die drei Fotos, der auf einer alten Schreibmaschine getippte Brief und das Gemälde ließ Allan Sekula nun in zahlreichen Farbfotokopien auf einen weiß gestrichenen, über 100 Meter langen Bauzaun kleistern. Dieser sperrt die Renovierarbeiten im Boijmans Van Beuningen Museum auf dem Weg zwischen den Ausstellungsorten der aktuellen Foto Biënnale Rotterdam 2000 ab. Dazwischen ist noch genug Platz, so dass sich dort während der einmonatigen Laufzeit des Festivals zu „Engagement in der Fotografie“ noch Graffiti oder wilde Plakate sammeln könnten. Am Sonntag werden unter dem Code-Wort „action A 16“ WTO-mäßige Proteste gegen das IWF/Weltbank-Treffen in Washington erwartet.

Auch Sekula war zu den Anti-WTO-Riots nach Seattle zurückgekehrt. Ein Jahr zuvor hatte seine Ausstellung „Fish Stories“ über globale Handelswege, Hafenstädte und Containerschifffahrt dort Station gemacht. Protestierende Dockarbeiter begrüßten ihn herzlich, als sie erfuhren, dass er diese Arbeiten produziert hatte. Nun arbeitet Sekula an einer neuen Projektreihe zu Seattle. Vielleicht wird sie zur Expo in Hannover gezeigt, lieber Jürgen Schrempp. JOCHEN BECKER

Die Foto Biënnale Rotterdam läuft an verschiedenen Orten bis zum 7. Mai. Der Katalog wurde vom Nederlands Foto Instituut herausgegeben.