Wurzeln des Widerstands

Der bunte Haufen der IWF-Gegner, der die „Globalisierung von unten“ verkörpert, ist auch zum Lernen nach Washington gekommen

WASHINGTON taz ■ Er heiße „Watermelon“, behauptet der junge Mann mit den Rastalocken, und er sei aus San Diego in Kalifornien. Bob Hamburg kommt aus Orna in West Virginia und Ronnie Siakor ist aus Liberia in Afrika. Sie sind drei von den bislang rund zehntausend Menschen, die in Washington für globale Gerechtigkeit, Schuldenerlass und gegen die größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich auf der Welt demonstrieren. Ihre Absicht ist es, die Frühjahrstagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) zu stören und der „Globalisierung von oben“ eine von unten entgegenzusetzen. Sie veranstalten Workshops zu gewaltlosem Widerstand, Graswurzeldemokratie und erster Hilfe. So bereiten sich die IWF-Gegner auf die beiden „Kampftage“ vor, deren erster gestern war.

Die Vorbereitungen für die Demonstration in Washington begannen unmittelbar nach der erfolgreichen „Battle of Seattle“ gegen die Tagung der Welthandelsorganisation letztes Jahr. Auch Washingtons Polizei lernte aus den Erfahrungen von Seattle: Sie ging schnell entschieden zur Sache. Am Samstagmorgen schloss sie das „Conversion Center“, ein altes Lagerhaus, das als Koordinationsstelle der Aktionen diente, wegen angeblicher Feuergefahr, und im Lauf des Tages nahm sie 600 Menschen fest. Sie wurden in Handschellen abgeführt und mit Bussen zu einem polizeilichen Trainigszentrum im Süden Washingtons gefahren. Unmissverständlich kündigte die Polizeiführung auch für Sonntag und Montag ein hartes Vorgehen an.

Die Washingtoner Demonstration stellt sich in die Tradition der großen Kundgebungen der Bürgerrechts- und Antivietnamkriegskundgebungen der Sechzigerjahre. Anders als damals aber haben die jetzigen Aktionen keine einheitliche Führung. Beteiligt an ihnen ist eine lose Koalition aus kirchlichen Gruppen, Umweltgruppen, Bürgerinitiativen und den Gewerkschaften. Die Gewerkschaften sehen im liberalisierten Welthandel die Gefahr des Arbeitsplatzverlustes und von Lohneinbußen – trotz nur vierprozentiger Arbeitslosigkeit in den USA hält sich nach den Massenentlassungen Anfang der Neunzigerjahre die Furcht vor Arbeitsplatzverlust.

Die Amerikaner pflegen ein unterschwelliges Misstrauen gegen die Liberalisierung des Welthandels. Hatten schon die Protestaktionen von Seattle in der amerikanischen Öffentlichkeit zu heftigen Diskussionen geführt, richten die Proteste in Washington das Augenmerk auf IWF und Weltbank. Ihre wirtschaftlichen Zwangsrezepte können die Souveränität einzelner Staaten einschränken, ihr Agieren nährt den Verdacht, dass Globalisierung zu undemokratischen und undurchsichtigen Superbürokratien führt.

„Watermelon“, Bob und Ronnie sind nicht nur zum Protestieren, sondern auch zum Lernen nach Washington gekommen. Der Rastamann stellte nach seiner Rückkehr aus Seattle fest, dass die Mobilisierung zwar anhielt – über Wochen kamen jeden Samstag vierzig Aktivisten in eine Kirche – doch die Aufgabe und Themenfülle wuchs seiner Gruppe über den Kopf.

Bob möchte in den Workshops Anregungen sammeln, wie er eine desillusionierte Bevölkerung in seinem verarmten US-Bundesstaat auf die Folgen der neuesten Form des Tagebaus aufmerksam machen kann. Ganze Bergspitzen werden abgesprengt und Täler verschüttet, um billiger an die Kohle zu kommen.

Ronnie aus Liberia will lernen, was es mit der Graswurzelmobilisierung auf sich hat, für die Amerikas Bewegungen berühmt sind. In Afrika gehört er einer Gruppe an, die Comics herausgibt, mit denen die Landbevölkerung lernen soll, den Boden besser zu nutzen und hygienischere Bedingungen in Dorf und Haus zu schaffen. Ironie der Geschichte: Das Projekt wird von der Weltbank unterstützt. PETER TAUTFEST