der börsencrash: ABWARTEN UND TEE TRINKEN
Haben ihre oberschlauen, internetspekulierenden Arbeitskollegen am Freitag Blut und Wasser geschwitzt? Nein? Dann spekulieren sie auch nicht wirklich. Denn die Börsen-Zeitgenossen haben an diesem Tag zwischen 10 und 50 Prozent ihres Aktienvermögens verloren – je nachdem, in welche ungemein viel versprechenden Hightechwerte sie investierten. Und das dürfte selbst die schwankungserprobten Besitzer von Online-Papieren nicht ganz unberührt lassen.
Kommt also nun der lang erwartete Crash an den Börsen? Völlig ausschließen kann das niemand mehr. Die US-Computerbörse Nasdaq sackte in der letzten Woche ab wie seit dem Krach von 1987 nicht. Ob der Crash die Wirtschaft außerhalb der Börsenwelt in Mitleidenschaft zieht, werden die nächsten Tage zeigen. Dann wird sich entscheiden, ob alle verkaufen oder aber die ersten Risikofreudigen wieder einsteigen, weil sie die niedrigen Kurse als günstiges Angebot ansehen.
Ein Crash wäre ein herber Dämpfer auch für die arbeitende Bevölkerung weltweit und damit schlecht: Wenn die Amerikaner Angst vor der eigenen Courage bekommen und plötzlich ihren hemmungslosen Konsum ein wenig einschränken, wirkt der US-Markt nicht mehr als Konjunkturlokomotive für die erst langsam anrollenden Wirtschaften in Europa und Asien. Gut wäre hingegen, wenn sich die Kurse auf einem vernünftigen niedrigeren Niveau einpendeln würden. Denn über den tagesaktuellen Spekulantentellerrand hinausgeblickt, stehen selbst heute die Aktien der Nasdaq so schlecht nicht da. 1999 verdoppelten sie ihren Wert nahezu. Die derzeitigen Verlusten eingerechnet, sind sie erst wieder auf dem Stand von Anfang Dezember 1999 angelangt.
Von einem historischen Kurssturz kann also noch nicht die Rede sein. Es ist eher ein Nasenstüber. Der war nötig, bevor noch der letzte Möchtegern-Spekulierer glaubt, wer nicht 100 Prozent Jahresrendite einfährt, sei ein Trottel. Der bloße Zustrom von frischem Kapital kann die Börsenkurse nicht ewig hochtreiben. Es müssen letztendlich Gewinne von Unternehmen dahinter stehen. Niemand, auch nicht eine supermoderne Internet-Economy, kann auf die Dauer hundertprozentige Gewinnsteigerungen aus Angestellten, Geschäftspartnern oder Konsumenten herausholen. Also ein paar Tage abwarten und dann schauen, wer übrig geblieben ist. REINER METZGER
wirtschaft SEITE 7
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