DIE GESETZLICHEN KRANKENKASSEN DROHEN MIT BEITRAGSERHÖHUNGEN
: Markt oder Solidarität

Die Chefs der gesetzlichen Krankenkassen lassen Politiker und Versicherte gleichermaßen erzittern. Beitragserhöhungen seien unausweichlich, mahnen sie. Die Mahnung klingt fast so erschütternd wie das Gerede vom Ende des Sozialstaates. Die Schuldigen werden von den Kassenvorständlern gleich mitgeliefert. Schamlos nützten die Betriebskrankenkassen den Wettbewerb der gesetzlichen Krankenversicherung aus, indem sie junge, gesunde Mitglieder anlockten, jene, die viel einzahlen, aber so gut wie nie krank sind.

Es stimmt. Jeder gesunde 24-Jährige, der sich aus der teureren AOK verabschiedet, weil es ihn zu einer preiswerten kleinen Betriebskrankenkasse auf die Schwäbische Alb zieht, schadet dem System. Denn die Großkassen müssen nun mit weniger Geld für die vielen alten und kranken Menschen aufkommen. Dennoch trifft die Betriebskrankenkassen keine Schuld. Sie buhlen nur im Rahmen ihrer gesetzlichen Möglichkeiten. Die Antreiber für den Existenzkampf der Kassen sitzen im Bundestag. Dort wurde vor vier Jahren das Gesetz gemacht, das den Betriebskassen jetzt den unverhofften Zulauf brachte. Mit dem Gesundheitsstrukturgesetz ließ der damalige Minister Horst Seehofer (CSU) den Wettbewerb ins System. Seither führt ein knallharter Preiskampf zu tiefen Rissen. Genau darin liegt jetzt die Chance. Je härter das Ringen der Kassen wird, umso stärker geraten die Politiker unter Druck. Die Abgeordneten könnten jetzt sagen, dass sie es so nicht gewollt haben, und ein neues Gesetz machen, das die Kassen vor allzu viel Markt schützt. Dass damit die Patienten vor Beitragserhöhungen gefeit wären, soll aber niemand glauben.

Die Bundesregierung könnte den Druck positiv nutzen und endlich darüber debattieren, welchen Kurs die Gesundheitspolitik einschlagen soll. Mehr Marktwirtschaft? Oder mehr Solidarität? Für diese erste Variante dürfte sie leicht eine große Koalition mit CDU/CSU und FDP zustande bringen. Der Weg in eine Solidarität ist steinig. Es reicht nicht, bei der Beitragsberechnung Mieteinnahmen und Aktiengewinne zu berücksichtigen. Wer diesen Weg will, muss sehen, dass möglichst viele ins Boot der gesetzlichen Kassen kommen, zumindest aber die Beamten. ANNETTE ROGALLA