Gute Musik ohne Special Effects

■ Der Besuch des Chansonabends von Chriss Bieger und Marc Lüdicke in dem Studio auf den Höfen lohnte sich sehr

Ein ganzer Abend voller Chansons ist ein gewagtes Unternehmen. Viel zu viele InterpretInnen nehmen es zu früh in Angriff, ohne die Fähigkeiten dafür zu besitzen. So ist es erst wenige Wochen her, dass schon einmal ein selbsternannter Chansonsänger für einen desaströsen Auftritt im Bremer Packhaustheater sorgte.

Die Bremer Sängerin Chriss Bieger und ihr Begleiter Marc Lüdicke jedoch ließen jetzt im Studio auf den Höfen an ihrer Qualifikation keine Zweifel aufkommen. Mit klangvoller Stimme, vor allem in den tiefen Lagen, überzeugte Bieger von Anfang an. Und Klavierbegleiter Lüdicke unterstützte sie mit rhythmischer Präzision, die bei seinen eigenen anspruchsvollen Arrangements auch gefragt war, sowie mit sensiblen dynamischen Abstufungen.

Es begann mit abwechselnd peppigen und träumerischen Songs, teils aus eigener, teils aus fremder Hand (die Palette reichte von Sting bis Madonna). „I want to kill this waitress“, sang die recht unscheinbar gekleidete Chriss Bieger: Eine Bedienung hatte zuvor an der Theke mit lautem Krachen ein Tablett fallen gelassen. Nun, die Planung dieses scheinbaren Missgeschicks war offensichtlich, doch Bieger erwartete wohl auch nicht die großen Lacher. Gerade ihre unaufdringliche, für eine Bühnenkünstlerin geradezu zurückhaltende Art war es, die ihren Liedern Glaubwürdigkeit verlieh. Die Tötungslust an der Bedienung erschien da so wenig lächerlich wie die folgende Interpretation von „little girl“ seicht wirkte.

Schade nur, dass auf die überzeugende Anfangsphase des Programms zu viele gefühlvolle Lieder folgten. Und es zeigte sich wieder einmal, welche Gratwanderung ein Chansonabend bedeutet, in dem jede Unausgewogenheit entscheidend sein kann. Mit „Wir wussten von Liebe nur, dass es sie gibt“ bekam das Duo aber bald wieder die Kurve. Interessante Tonartwechsel, rhythmische Feinheiten und natürlich Biegers Stimme: Der Song war schlichtweg gut. Doch der Eindruck wurde noch gesteigert. Als Bieger sich ein wenig ausruhte und zur Bar entschwand, um ein Glas Wasser zu trinken, nutzte Marc Lüdicke die Chance, endlich einmal solistisch aktiv zu werden. „Sie steht im Rampenlicht / und ich am Rand, da sieht man's nicht ...“ und „als Begleiter ewig Zweiter“, klagte er, bis die Solistin wieder auf der Bühne eintraf.

Mit Stings „Seven days“ gelang den beiden schließlich die beste Interpretation des ganzen Abends. Man merkte Lüdicke die Freude am Betonen der verschobenen Rhythmik deutlich an, und Chriss Bieger schien insbesondere bei dem Refrain regelrecht aufzublühen.

Zwei Zugaben waren von Bieger und Lüdicke eingeplant, vier hat das Publikum am Ende bekommen. Vor allem ein Gospel sorgte für Stimmung in der kleinen Bar, bei dem beide Musiker noch einmal alles gaben. Erfreulich an der Vorstellung der beiden war vor allem, dass sie auf jegliche Show verzichteten. Gute Musik bedarf keiner Special Effects.

Johannes Bruggaier