Es darf gebeacht werden

Die Freizeitindustrie sagt dem Wetter den Kampf an: Im Indoor-Beach-Center werden Trendsport, Rundumversorgung und Urlaubsillusion geboten – ganz ohne lästige Regenschauer
aus Bochum-Witten
REINER LEINEN

Nass, kühl und unwirtlich ist es nun schon seit Tagen. April eben. Schon von weitem überstrahlt die ikeafarbene Halle das Einheitsgrau der Ruhr-Uni. Drinnen geht die Sonne auf. „Alle reden vom Wetter, wir nicht“, sagt Patrick Immermann. Aus seinem Munde klingt der Satz wie neu erfunden. Immermann ist Geschäftsführer von „Europas größtem Sandkasten“, des Indoor-Beach-Sportcenters in Witten-Heven. Achthundert Tonnen feinsten Dünensand hat er anfahren lassen und zu einer mehr als zweitausend Quadratmeter großen, überdachten Sandfläche mit fünf Spielfeldern arrangiert, auf denen Trendsportarten wie Beach-Volleyball, Beach-Soccer oder Beach-Badminton betrieben werden können. Ein Hauch von Timmendorfer Strand und Copacabana umweht Bochum.

Mit Jeans und Pulli wirkt man hier hoffnungslos deplatziert. Strandshorts und T-Shirts sind angesagt, man trollt sich barfüßig. Plastikpalmen allenthalben, hier und da ein paar blauweiß gestreifte Strandkörbe, bunte Wasserbälle fliegen umher, Federballschläger werden geschwungen. Unter der Decke hängt ein Gleitschirmflieger. Die Wand jenseits der großen Sandgrube zeigt ein Panorama zum Wegträumen: weiße Wolken vor knallblauem Himmel, türkisgrünes Wasser bis zum Horizont. Die Illusion ist fast perfekt. Man könnte sich drei Flugstunden südlicher wähnen, fehlte da nicht der Geruch von Sonnenmilch, wäre da nicht die Empore mit den Kraftmaschinen des Fitnessbereichs, die andeuten, dass all dies künstlich und der gewünschte Waschbrettbauch auch hier nicht umsonst zu haben ist.

Überhaupt: Es geht locker-leicht zu – und trendy. Jugendliche heißen hier natürlich Kids, die Spielfelder Courts. In der Hauspostille On the Beach finden sich News und Events. Es darf „gebeacht“ (Immermann) werden. Und das wird es. Der Beach-Sport brummt, selbst zur Mittagszeit. Abends und am Wochenende geht hier ohne längerfristige Voranmeldung gar nichts. Am Eröffnungswochenende waren 6.500 Menschen da, zur Beach-Party über zweitausend, manche kamen sogar aus den Nachbarländern Belgien und Holland. Dazu jede Menge Pressevertreter. „Kein Wunder“, sagt Immermann, überzeugt von seiner Geschäftsidee und überwältigt vom durchschlagenden Erfolg des „weltweit ersten Neubaus einer Beach-Halle“.

Bald schon sollen bundesweit und möglichst flächendeckend weitere Hallen folgen. Es gibt Vorgespräche mit verschiedenen Städten, darunter Mainz, Aachen, Köln oder Münster. Man sucht Standorte im Umfeld von Uni-Städten, gibt es doch hier am ehesten die vermutete Klientel für die gewünschten Zuwachsraten: Sportbegeisterung, jugendliche Agilität, jede Menge Urlaubsträume.

Immermann kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. In Kooperation mit der Bocholter Ballhaus GmbH, beim landesweiten Wettbewerb „Start up“ wegen ihres innovativen Freizeitkonzeptes ausgezeichnet, ist er für das Konzept der künftigen Center zuständig. Zur Mittagszeit tummeln sich hier viele Schulklassen im Sand, vor allem beim Soccer wird eifrig getrickst und gezaubert: Flugkopfbälle und Fallrückzieher sind oft zu sehen, weil der Flachpass im tiefen Sand keine Konjunktur hat. Zum Abschluss gibt’s für alle im Beach-Bistro noch ein Stück Pizza, ehe sie der hauseigene amerikanische Schulbus des Centers in die Schule zurückfährt.

Derlei All-inclusive-Sorglospakete sind fester Bestandteil der Marketingstrategie. Die gilt nicht nur Schulen, sondern auch Sportvereinen, Betrieben und privaten Gruppen. Wer im Urlaub rundum betüddelt werden will, so darf man annehmen, der braucht das im Alltag erst recht. Es ist an alles gedacht. Natürlich stehen ein paar Sonnenbänke bereit, die Küche ist mediterran, selbst der Single-Treff wurde nicht vergessen und Kleinkinder werden im Kids Beach-Club animiert, während sich die Eltern in Kursen wie „Fitness Pumping“ und „Bauch K.O.“ quälen.

Auf Feld zwei trainieren unterdessen Stephanie Pohl und Ines Pianka, Beach-Volleyballerinnen der Extraklasse, ansonsten an den Stränden dieser Welt zwischen Rio und Acapulco zu Hause. „Im Sand wühlen für Sydney“ heißt ihr Motto. Seit 1996 ist ihre Sportart olympisch, im Sommer wollen sie in Australien dabei sein. Und hier finden sie die Trainingsbedingungen, die ihre Olympiateilnahme ermöglichen sollen.

Und die Männerwelt? Die hat für einen Moment das Spielen eingestellt. Zwei Dutzend Augenpaare halten sich an den beiden jungen Damen fest. Während man versonnen am Shirt nestelt, wird schon einmal verstohlen der richtige Sitz des Gemächts überprüft. Jetzt also ganz lässig im Sand liegen, wie beiläufig ab und an mit der Hand durchs Haupthaar streichen. Und die Dinge auf sich zukommen lassen. Ganz wie im richtigen Urlaub.

Hinweis:Die Illusion ist fast perfekt.Man könnte sich drei Flugstunden südlicher wähnen, fehlte nichtder Geruch von Sonnenmilch