Das wäre Ihr Leib gewesen

Zwölf Männer waschen sich die Füße und hören laute Musik: Pünktlich zu Ostern macht Harrison Birtwistle die christliche Utopie fit für das neue Jahrtausend – „The Last Supper“ an der Staatsoper Unter den Linden

In einem Punkt sind wir schlauer: Sollten die zwölf Jünger je zu einem zweiten letzten Abendmahl zusammenfinden, wird es sehr laut werden. Ja, sofern die Apostel nicht über ausgebildete Singstimmen verfügen, ist fraglich, ob ein Gespräch zwischen ihnen überhaupt zustande kommt, denn Harrison Birtwistle hat ihnen die Musik zu ihrem Treffen geschrieben.

Mit einem markigen, bassigen Ensemble ohne Violinen rumpelt Birtwistle gegen die Statik des Librettos von Robin Blaser an. Das Libretto ist, um es vorwegzunehmen, die Schwachstelle und der Knackpunkt von Birtwistles dramatischem Tableau „The Last Supper“, das am Dienstagabend an der Staatsoper uraufgeführt wurde. Man möchte zunächst einwenden, dass der Stoff undankbar sei. Aber dass die Bibel wenig dramatische Verve besitzt, hatte man schon vor 400 Jahren erkannt. Folgerichtig etablierte sich neben der Oper die Gattung des Oratoriums. Hier setzte man ganz auf musikalisch-bildliche Pädagogik, in der die schlichte Folge Arie, Choral, Rezitativ für eine überzeugende Dramaturgie einstand. Im 19. Jahrhundert schwächelte die Gattung. Die christliche Ausstellungskultur verblasste vor der musikalisch-dramatischen Entwicklung; nur wenige Komponisten, darunter Richard Wagner, verstanden es hernach, Bibelstoffe für die Bühne aufzubereiten.

Robert Blaser ist es nun mit „The Last Supper“ nicht gelungen, den christlichen Darstellungsmodus zu aktualisieren. Mit der Präsenz von 13 Männern auf einer Bühne, die mit der Ausnahme von Thomas (Ungläubigkeit), Judas (Verrat) und Jesus keine nennenswerten Charakteristika mitbringen, ist Blaser überfordert. Wieder und wieder setzt er zum Gänsemarsch an: 12 Auftritte, 12 Lebensberichte, 12 Waschungen. Man spürt förmlich, wie beim Schreiben nach und nach weitere Textebenen erschlossen wurden, um Spannungsbögen zu ermöglichen: Frauenchöre aus dem Off und von Tonband oder die Evangelistenfigur „Ghost“. Geholfen hat es nichts.

Auch das Experiment, die Handlung in einen verblümten Kommentar zu rahmen, läuft ins Leere. Unangenehm ist überdies der Versuch, die christliche Utopie für das kommende Jahrtausend zu erneuern. Man hätte sich eine Kontextualisierung oder eine Historisierung des Stoffes gefallen lassen. Aber die pathetische Lehre vom missverstandenen Christentum ist entschieden schauderhaft. Dabei haben die übrigen Akteure ihre Arbeit recht ordentlich erledigt. Bild und Kostüme von Alison Chitty geraten schmucklos, schlüssig und stringent. Drei Visionen kitschig überzeichnete Nachstellungen christlicher Motive öffnen endlich den Blick auf 2.000 Jahre christlicher Ästhetik. Martin Duncan inszeniert ausgewogene und bewegliche Bilder.

Unter den Sängern ist die Sopranistin Susan Bickley hervorzuheben: Sie verleiht der Rolle des kommentierenden Geistes blecherne Schärfe, indem sie bei technisch einwandfreiem Vortrag keinen einzigen im klassischen Sinne schön zu nennenden Ton singt. Birtwistle schließlich müht sich entschlossen um Unruhe. Er greift zu Wiederholungen nur dort, wo es der Spannung dient. Und er bremst seinen unwiderstehlichen Vorwärtsdrang selten, etwa um einer tragenden Wendung in einem stehenden Klang Tiefe zu verleihen.

Dass Birtwistles ruppige Rhetorik dem Leerlauf auf der Bühne gelegentlich zuwiderläuft, scheint unvermeidlich. Manchmal allerdings schnürt die Musik die Szenen zu einer einzigen Geste zusammen; und in solchen Momenten gehen die einzelnen Elemente dieser Produktion doch noch ineinander auf: bei den scharfen Chorattacken gegen Judas, in einer ritornellhaften Wendung zur rituellen Reinigung der Füße. Derartige Techniken sind kein Novum einer birtwistleschen Partitur. Sie sind im Gegenteil Garant seines musikalischen Charismas, das diese Uraufführung zu einem mittelschwergewichtigen Ereignis machte: teures Festspielpublikum, ausverkauft, frenetischer Applaus.

BJÖRN GOTTSTEIN

Die nächsten Aufführungen heute und 20. April, jeweils 20 Uhr, Staatsoper, Unter den Linden