Der Westen wird taz

Heute erscheint die letzte Nullnummer der taz nrw – ab 4. Mai wird sie immer donnerstagsder taz beiliegen. Wie sich die taz in Nordrhein-Westfalen als Alternative etablieren will

von CHRISTOPH SPEIER

Am 1. Februar notierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Feuilleton: „Der Zeitungskampf um die Meinungsführerschaft wird in Berlin ausgetragen, die Schlachten um die Auflagen werden anderswo geschlagen. Dass dabei gerade Nordrhein-Westfalen unausgeschöpfte Potenziale bietet, ist in der Branche nicht neu, doch scheint die ‚tageszeitung‘ das erste überregionale Blatt zu sein, das daraus verlegerische Konsequenzen zieht.“ Kurz vorher war bekannt geworden, dass der Vorstand der taz-Verlagsgenossenschaft über eine konkrete Investition im Westen nachdachte und damit die Initiative nicht mehr den vor Ort Engagierten allein überlassen wollte.

Heute nun erscheint die letzte Nullnummer der taz nrw. Ab 4. Mai wird die taz nrw immer donnerstags der taz beiliegen. Warum? In Nordrhein-Westfalen (NRW) verkauft die taz knapp ein Fünftel ihrer Auflage. Gleichzeitig liegt – trotz der Projektversuche „taz ruhr“ und „taz münster“ – die Leser/innen-Dichte (Käufer/innen pro tausend Einwohner/innen) weit unter dem Schnitt der bundesweiten Ausgabe. Den etablierten Lokalteilen Berlin, Hamburg und Bremen gelang es nach wenigen Jahren ihrer Existenz, die Kaufdichte in ihren Städten zu verdoppeln. Wenn also für die taz eine Chance besteht, als überregionale Tageszeitung im Laufe eines absehbaren Zeitraumes eine echte Auflagensteigerung zu erzielen, dann im Westen – allerdings erst bei täglichem Erscheinen. Nur kann das dafür notwendige Kapital derzeit kaum beschafft werden.

Eine realistische Perspektive bietet ein wöchentliches taz-Nebenblatt für NRW, mit zunächst drei Fenstern in Köln, Münster und dem Ruhrgebiet. Damit könnten der Verkauf im Zeitschriftenhandel am Erscheinungstag erhöht, völlig neue Erlöse im Anzeigengeschäft und in geringem Maße auch neue Abonnements gewonnen werden. Werden hiermit erst einmal kostendeckende Umsätze erzielt, wäre auch eine strategische Partnerschaft mit solchen am westdeutschen Markt interessierten, zum Beispiel niederländischen, Partnern denkbar, die dann das tägliche Erscheinen finanzieren könnten.

Der Pressemarkt in NRW wird von wenigen Verlagen monopolisiert. Der DuMont-Konzern (Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau, Express) und die Gruppe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) kontrollieren täglich eine verkaufte Auflage von 2,2 Millionen Exemplaren.

Daneben steht die taz in NRW mit ca. elftausend Exemplaren täglich. Sie erreicht allerdings damit nach der Marktanalyse (MA 99) über 40.000 Leserinnen und Leser – zwei Drittel von ihnen unter 39 Jahren. 43 Prozent der taz-Leserschaft in NRW haben ein monatliches Netto-Haushaltseinkommen von DM 4.000 und mehr. Über so viel Liquidität verfügen in der Bevölkerung des Landes nur 20 Prozent.

Dies verweist auf einen wichtigen, aktivierbaren Marktkern, von dem aus die taz nrw im Markt positioniert werden kann. Im Blick dieses neuen Medienformats im Printsektor – regional ausgerichtet auf NRW und lokal eher spezifisch als allgemein verankert – kann nur der Vergleich mit den anderen überregionalen Tageszeitungen stehen, insbesondere mit der FR und SZ. Die IVW-Verbreitungsanalyse lässt die Wachstumschance der taz nrw erkennen.

Die notwendige Verdopplung der Reichweite entspricht dem, was heute die SZ im größten Bundesland erreicht hat. Wenn im direkten Zeitungshandel im ersten Jahr acht Prozent verkaufte Exemplare zugelegt werden und das Abonnementgeschäft sich auf die Klientel der beiden Konkurrenten erfolgreich ausrichten kann, dürfte der Zeitpunkt für das tägliche Erscheinen gekommen sein.

Woher die Hoffnung, jährlich über eine Viertelmillion Deutsche Mark Anzeigenerlöse zu erwirtschaften? Die Chance dafür liegt ebenfalls in dem neuen Format dieses taz-Nebenblattes, das sich auf das größte Bundesland bezieht und eine echte Werbe-Alternative für die Mediaplaner/innen von Markenprodukten, aber auch für die auf dieses Territorium bezogenen öko-, kultur-, energie- und sozialwirtschaftlichen Unternehmen und politischen Organisationen bietet.

Die taz nrw liefert eine bezahlbare, effektive Mediaqualität. Die Anzahl entsprechender, erfolgreicher ökowirtschaftlicher Unternehmen und ethisch vertretbarer Investments ist in NRW so hoch wie sonst nirgends in der Bundesrepublik. Sie verfügen über einen Werbeetat von ca. 30 Millionen Mark, von dem die taz nur einen Bruchteil als Werbeleistung vermarkten muss, um eine betriebswirtschaftlich ruhige Zukunft zu haben.