Das Pech der frühen Geburt

„Wer dazwischen liegt – man muss es ganz krass sagen –, hat einfach Pech gehabt“, meinte die Richterin Petra Vossen beim Stuttgarter Prozess um eine unzureichende Witwerrente lapidar. Franz N., Jahrgang 1912, und seine verstorbene Ehefrau Maria N., Jahrgang 1924, liegen dazwischen. Zwischen der Zeit, als Kinder noch eine Alterssicherung darstellten, und dem Jahr 1992, als der Gesetzgeber die Rentenansprüche der Mütter auf drei Jahre pro Kind erhöht hat. Nicht rückwirkend allerdings, wo sollte das Geld dafür herkommen?

Hätte Maria N. ihre sieben Kinder nach 1992 geboren, hätte sie 21 Jahre Rentenansprüche gehabt, soweit die Gesetzeslage. Hat sie aber nicht. „Das ist schon ein starkes Stück, heute zu sagen, hätten Sie ihre Kinder eben erst nach 1992 gekriegt“, kommentiert Tochert Gesa Ebert die Ausführungen. „Ich hab’s ausgerechnet, da wär meine Mutter 68 Jahre alt gewesen.“ Mit trockenem Humor lassen sich Ungerechtigkeiten besser ertragen.

Franz N. erhält eine Witwerrente von 259, 50 Mark zusätzlich zu seiner eigenen kleinen Rente aus der Arbeit als Schreinermeister. Das sind sechzig Prozent von 432, 50 Mark Rente, die seine vor zwei Jahren verstorbene Frau für kurze Erwerbszeiten, durch die Einzahlung freiwilliger Beiträge und für die Kindererziehung bezog.

„Ist es mit den Grundrechten vereinbar, dass Franz N. mit einer so geringen Hinterbliebenenrente Vorlieb nehmen muss , während seine Rente sehr viel höher sein würde, wenn sie ihre gemeinsamen Kinder ganztags in staatlich finanzierte Betreuung gegeben hätten oder wenn sie gar keine Kinder bekommen und erzogen hätten?“, steht im Prozessantrag. „Ja. Noch ...“, antwortet die Richterin.

Als Norbert Blüm 1986 die Rente für Mütter einführte, kam das einer Jahrhundertrevolution gleich. Spätestens mit dem ersten Rentenbescheid haben die Frauen jedoch gemerkt, dass ein Jahr Rentenanspruch pro Kind reine Augenwischerei ist und de facto eine Rente von 25 Mark pro Monat bedeutet. Mit fast hundertprozentigen Steigerungen im Laufe der vergangenen Jahre sind wir heute bei einer Kindererziehungsrente von sage und schreibe 43,99 Mark im Westen und 37,79 Mark im Osten.

Was konkret bedeutet: Um zu einer eigenen Rente von läppischen tausend Mark monatlich zu kommen, muss derzeit eine Frau 25 Kinder großgezogen haben. „Viele Frauen sind wahnsinnig enttäuscht und verbittert.“ Dass sie damit Recht haben, bestreitet kein Gericht der Welt. Nur: „Recht haben heißt noch lange nicht Recht kriegen“, wie eine alte Frau im Gerichtssaal murmelt.

MARIANNE MÖSLE