„Unser Marsch ist ein gute Sache...“

Vor 40 Jahren begann in Hamburg die Geschichte der Ostermärsche  ■ Von Bernhard Röhl

Die Wiege des Ostermarsches gegen die Atomwaffen stand in Großbritannien. Die „Campaign for Nuclear Disarmament“ (CND) wurde am 15. Januar 1958 ins Leben gerufen. In der Organisation trafen sich linke Gruppen aus der britischen Labour Party, Christen, Intellektuelle und Gewerkschaftsmitglieder, Vorsitzender war Friedensnobelpreisträger Lord Bertrand Russell.

Zu den Unterstützern gehörte auch der Hamburger Lehrer Hans-Konrad Tempel, ein Quäker, der Eid und Kriegsdienst ablehte. Tempel war von der Idee des Ostermarsches begeistert; schon zuvor hatte er sich an Aktionen gegen die Massenvernichtungswaffen beteiligt.

Zum Beispiel am 17. April 1958, als in der Hansestadt 150.000 Menschen auf dem Rathausmarkt eine Großkundgebung gegen die Aufrüstung der Bundeswehr abhielten. „Kampf gegen den Atomtod“ war das Motto, „Hamburger, denkt an 1943“ lautete die Mahnung, die 15 Jahre zurückliegenden Bombennächte vor nicht zu vergessen.

In der Zeit vor Weihnachten 1959 trafen sich in Hamburg der religiös geprägte „Aktionskreis für Gewaltlosigkeit“ mit der linken „Jungen Aktion gegen Atomtod für ein kernwaffenfreies Deutschland“. Die SPD-Führung ließ damals die Volksbewegung „Kampf gegen den Atomtod“ langsam versanden, die Landesorganisation Hamburg distanzierte sich von der „Jungen Aktion“ und betrachtete die Mitgliedschaft darin als unvereinbar mit der SPD-Parteidisziplin.

Der Aktionskreis wählte den Truppenübungsplatz Bergen-Hohne in der Nordheide, auf dem die NATO eine Batterie Honest-John-Raketen mit Atomsprengköpfen stationierte. Die etwa 120 Teilnehmer – meistens im jüngeren Alter – trafen sich am Karfreitag des Jahres 1960 am Hamburger Hauptbahnhof. Auf einem Transparent war zu lesen „Ostermarsch Hamburg-Bergen-Hohne“, andere forderten „Keine Atomwaffen auf deutschem Boden“ oder verurteilten die „Ausbildung zum Massenmord“. In verschiedenen Orten fanden Kundgebungen statt. Auf Flugblättern waren Gebiete skizziert, die Ziele von Atombombenabwürfen darstellten.

Im Text hieß es unter anderem, beide deutschen Staaten sollten darauf verzichten, Atomwaffen herzustellen, zu lagern, zu erproben und anzuwenden. Die Staatsbürger „in Ost und West“ sollten den Mut beweisen, „jeden Dienst zu Herstellung, Lagerung, Erprobung und Anwendung von Kernwaffen zu verweigern“. Auf diese Weise sollte „Deutschland und der Welt ein Zeichen“ gegeben werden.

„Den Flugblättern und dem ers-ten Ostermarsch gelang es nicht, in den Orten und Kleinstädten größere Bevölkerungskreise zu den Kundgebungen zu locken oder zu erreichen, dass beim Einzug in die Orte Menschen am Straßenrand standen. Das war auch kein Wunder: Der in der Zeit des finstersten ,Kalten Krieges' stattfindende erste Ostermarsch konnte nicht das Misstrauen und den vorherrschenden Antikommunismus durchbrechen“, erinnerte sich der Lehrer Horst Bethge, der wegen seiner Friedensaktivitäten aus der SPD ausgeschlossen worden war. Er schilderte später in seinem Buch „Die Bombe ist böse“ die Entstehungsgeschichte der Ostermärsche in Hamburg.

Am Ostermontag des Jahres 1960 trafen sich insgesamt 800 Menschen zum Protest in Bergen-Hohne. Trotz Kälte, Regen und Schnee waren auch aus Hannover, Braunschweig, Göttingen und Bremen Ostermarschierer zu diesem Ziel aufgebrochen.

Im Laufe der Zeit entstand aus der geringen Teilnehmerzahl des Jahres 1960 durch die „Kampagne für Abrüstung“ die wachsende Os-termarschbewegung, die ab 1963 in die Großstädte führte. Über 100.000 Menschen zogen 1964 in 19 Marschsäulen durch die Bundesrepublik. Prominente Persönlichkeiten riefen damals zur Teilnahme auf, zu ihnen gehörten Kirchenpräsident Martin Niemöller, Erich Kästner, Rolf Hochhuth, Erich Kuby, Gerhard Zwerenz und Hans-Magnus Enzensberger.

Ostern 1966 unterstützten mehr als 10.000 Persönlichkeiten die Ostermärsche, darunter waren 1500 Pfarrer und Theologen, über 1800 Gewerkschaftsfunktionäre sowie 14 SPD-Landtagsabgeordnete. Peter Brandt – Sohn Williy Brandts – zählte zu den Demons-tranten, aus den USA kamen Gegner des Vietnamkrieges, darunter die Folksängerin Joan Baez. Fast 145.000 Menschen demonstrierten Ostern 1966 auf den Straßen der Bundesrepublik.

Zwei Jahre später, am 11. April 1968, demonstrierten kurz nach dem Attentat auf Rudi Dutschke in Hamburg und 24 weiteren Städten empörte Studenten gegen den Springerkonzern. An diesen Ostertagen demonstrierten mindestens 300.000 Menschen. Eine Zahl, die erst 15 Jahre später wieder übertroffen werden sollte. Auf dem Höhepunkt der Friedensbewegung, im Jahre 1983, erreichte die Ostermarschbewegung in Deutschland mit mehr als einer halben Million Menschen einen noch immer bestehenden Rekord.