Trinkbar und gut für'n Kopf

■ Ist es Jazz, Independent, Rock 'n' Roll? Egal, meint Archim Gaetjen, Kopf von „Swim two birds“. Die stellen am Dienstag im Moments ihre vierte CD „Sweet relief“ vor

Wenn Du mit Bremer Musik-journalistInnen quatscht und unvermittelt wie aus der Hüfte geschossen die Silben „Swim two birds“ flüs-terst, dann bekommen Deine GesprächspartnerInnen rosa Pupillen, hüpfen auf einem Bein und sprechen blümerant. Der Fachterminus für dieses Phänomen: lokaler Megakultstatus. Dafür spricht auch ein überproportionaler Anteil wirr-nett-kluger Menschen bei „Swim two birds“-Konzerten. Und das Goethe-Institut hat sie in –97 sogar durch Brasilien geschickt. In zehn Jahren voller Stil- und Besetzungswechsel war Achim Gaetjen prägender Geist dieser Bremer Combo.

Neun Jahre Arbeit im Café der Schauburg, vor und hinter der Bar, haben aus ihm einen diplomwürdigen Unterhalter gemacht, und so plaudert es sich angenehm mit ihm über die widerwärtige Schwere australischer Rotweine, über die eigenhändige Renovierung seines 70-qm-Viertel-Hauses, den aussichtslosen Kampf mit einem 35-schichtigen Fensterrahmenlack und über den Womanizing-Faktor der sechs Bandkollegen (der vom Berliner Trompeter Michael Gross soll exorbitant sein). Aber versuche ja nicht, mit Gaetjen über Fußball zu reden – zumindest nicht, wenn Du Bayern-München-Fan bist. Doch es gibt noch ein zweites bedrückendes Tabu. „Neiiin. Biiitte nicht nach unserem Namen fragen. Nicht schon wieder.“ Also tun wir's. „Nun gut, Swim two birds kann man trinken und ist gut für'n Kopf.“ Im Jahr 1939, das nur von wenigen ein glückliches genannt wird, erschien Flann O'Briens Roman-im-Roman-im-Roman-Verschachtelung „At Swim two birds“. Der häufigst zitierte Satz darin: „Der gesamte Bestand der vorhandenen Literatur sei als Limbus anzusehen, dem scharfsinnige Autoren ihre Figuren je nach Bedarf entnehmen könnten. Der moderne Roman habe weitgehend aus Verweisen zu bestehen.“ Vermutlich ist das die früheste Formulierung postmoderner Zitat-Collage-Stilmix-Theorie.

„Das gilt natürlich auch für unsere Musik, irgendwie.“ Aber nicht wirklich. Denn: „Zwar haben viele unserer Elemente ihren Ursprung in den gegensätzlichsten Musikstilen. Im Track 8 der neuen CD ist viel Polka, Track 11 hat was Punkiges, mal werden drei Töne des James-Bond-Themas zitiert, mal strahlt ein klassischer Big-Band-Bläsersatz. Aber das ist verschweißt zu einem neuen Stil aus einem Guss.“ Es geht um Abwechslung, nicht um Brüche. „Ein Rezensent nannte unsere Musik mal einen Gemischtwarenladen. Das ist natürlich schon irgendwie richtig. Aber nur dann, wenn man in den überholten Kategorisierungen denkt. Zum Beispiel die Tonalität: Heute stehen Dissonanten nicht mehr für Avantgarde und Dreiklänge nicht mehr für Spießigkeit. Deshalb ist die Gleichzeitigkeit von Dis- und Konsonanzen keine Mixtur zweier Stile, sondern ein eigener Stil.“

Entstanden ist der unverschubladbare Sound durchaus durch die Heterogenität der Mitglieder. „Ich mochte es immer, Gegensätze auszureizen, zum Beispiel über einen jazzigen Bläsersatz einen punkigen Sänger laufen zu lassen. Früher war das Jasper Hood. Den habe ich in irgendeiner Bar kennen gelernt. Unser jetziger Sänger kommt eher aus dem Rap-Bereich, Slow-Motion-Rap, aber wenn er will, kann er auch schnell.“ GU, so heißt er eben, klingt wie ein Hotelbarsänger nach drei Flaschen Wein, und wenn er sprechsingt wie ein Mischung aus Anne Clark und Henry Rollins. „Ist bei ihm aber alles naturbeseelt. Erstaunlicherweise trinkt er nicht, raucht nicht.“ Harry Rowohlt dagegen trinkt bei seinen legendären Flann O'Brien-Lesungen. Je nach Verfassung entweder Tullamore Dew oder Wasser. „Wenn er zum Bier-Hymnus „Durst“ Mineralwasser trinkt, das nenne ich einen echten Stilbruch. Wir luden Harry Rowohlt übrigens mal zum Mitmachen ein. Da habe ich noch einen netten Brief. Er fragte: ,Was in aller Welt kann man bei dieser Band noch dazufügen.' Wir mögen Experimente. So wollten wir mal einen Mundgeräusche–Künstler dazu haben.“ Bobby McFerrin? „Nein. So einen nicht.“

Wie James Joyce liebt Gaetjen den Roman „At Swim two birds“. „Da kann man jahrelang drin lesen.“ Und er liebt das Lesen. „Unser Haus besteht fast nur aus Büchern, weniger aus Stein. Ich bin Bücherfresser.“ So finden sich auf den Titeln alter CDs jede Menge Verweise zum Beispiel auf Chandler – und auf Orte, wo der Reise-Fanatiker neue Musik entdeckte, Kuba, Amsterdam ... Alle Songs stammen von Gaetjen. „Am Anfang steht eine göttliche Eingebung. Die baue ich weiter aus. Mit Hilfe von Hard-Disc-Recording werden die Grundtracks eingespielt. Nach und nach kommen die Musiker dazu. Auf dieser Basis beginnen die Proben, wobei jeder im Prinzip das spielen kann, was er will. Die Grundstruktur kommt also von mir, aber ohne die anderen wäre ich nix. Ich habe zwar Bekanntschaft mit Notenlesen und -schreiben geschlossen, Freundschaft aber nicht.“

Manches klingt, als säße Gaetjen vor einer Duke-Ellington-Platte und schriebe die knackigen Bläsereinwürfe runter. „Naja, da gibt es doch kleine, feine Unterschiede. Bei uns spielt oft Beneschs Tenorsaxophon die höhere Stimme und ich mit dem Alt die tiefe. Die Sätze sind relativ eng gesetzt, dadurch klingt das oft nach mehr als drei Stimmen.“ Hierarchien im Sound gibt's nicht „Wir sind nicht Sänger mit angeschlossener Band, sondern EINE Band. Soli, die haben wir mehr oder minder abgeschafft. Keiner prescht vor. Wenn der Begriff Solo bei uns überhaupt Sinn haben soll, dann so, dass jeder jederzeit solo spielt, alle auf einmal.“ Der fette Groove, auch bei Fünf-Viertel oder Elf-Achtel-Takten, entsteht durch Addition, durch Verzahnung der Einzelnen. „So soll es sein.“

Die Bandmitglieder kommen aus unterschiedlichsten Ecken, Schlagzeuger Achim Faerber spielte bei Philip Boa und „Project Pitchfork“, Tammo Lueers bei den Bremer Roots-Rockern „Velvetone“, Bassist Willy Hart zupft bei „Zentrifugal“, Trompeter Gross spielte mal bei dem anderen großen Bläsersatz-Verfremder Frank Zappa und tritt beim Radio-Bremen-E-Festival „Musica Nova“ auf. „Wenn man die Vorlieben der einzelnen Musiker addiert, gibt es vermutlich nichts, was nicht gehört wird, naja, außer vielleicht Gothic. Ich selbst höre zur Zeit lieber alten, schrägen R & B als Jazziges.

Da greift der Wynton Marsallianismus um sich. Und selbst die Leute von der Knitting Factory sind brav und langweilig geworden.“ Ob die Quersumme der Individualvorlieben jetzt Jazz, Underground, Independent oder Rock'n'Roll ist, interessiert nicht. „... höchstens bei einem Konzert in Leer die eine oder andere 16jährige Gymnasiastin. Für uns wird es erst heikel, wenn es um die Einordnung im Plattenladen geht. Bei WOM steht die neue CD unter Jazz. Nicht gut, da findet sie wieder keiner. Meine erste Band hieß „3.Art“, weil es nicht Jazz, nicht Rock war, die jetztige könnte man 27.Art nennen.“

Es lauschte: bk

Record-Release-Party: am Dienstag, 25. April, 20 Uhr im Moments mit dem Alexander-Seemann-Quartett