US-Bundespolizei soll Elián holen

Noch in der kommenden Woche will US-Justizministerin Janet Reno den kubanischen Flüchtlingsjungen Elián González zu seinem Vater nach Washington bringen lassen. Dort müssen beide das Ende des Verfahrens abwarten – das kann dauern

aus Washington PETER TAUTFEST

Nach Monaten des Abwartens dürfte es nächste Woche hässliche Szenen in Miamis Little Havanna geben. US-Justizministerin Janet Reno hat angekündigt, den kubanischen Flüchtlingsjungen Elián Gonzáles notfalls mit Gewalt aus dem Haus seines Großonkels herauszuholen und hat die Bundespolizei nach Miami beordert. Nachdem Exilkubaner in der letzten Woche zu Tausenden 24 Stunden lang Menschenketten um das Haus von Lazaro Gonzáles gebildet und versprochen hatten, jeden Versuch zu verhindern, Elián gewaltsam fortzubringen, muss mit Zusammenstößen gerechnet werden.

Die Bürgermeister der Stadt Miami und des Landkreises, in dem Miami liegt – beide US-Amerikaner kubanischer Abstammung – hatten vor Wochen schon angekündigt, dass sie den Bundesbehörden keinerlei Amtshilfe leisten würden. Es muss also mit einer Konfrontation gerechnet werden, die an jene in Alabama Ende der 50er-Jahre erinnern könnte, da Bundespolizisten mit gezogenen Waffen und gegen den Willen der lokalen Polizei schwarzen Studenten Zutritt zu Schulen und Universitäten verschafften.

Am 6. April war Eliáns Vater, Juan Miguel Gonzáles, aus Kuba nach Washington gekommen, um seinen Sohn abzuholen. Elián lebt bei seinem Großonkel Lazaro in Miami, seit er Ende November nach einem gescheiterten Fluchtversuch, bei dem seine Mutter und sein Stiefvater ertrunken waren, in der karibischen See aufgefunden worden war.

Um eine gütliche Einigung und eine friedliche Übergabe des Kindes an seinen Vater zu erreichen, schaltete sich Justizministerin Reno persönlich in die Verhandlungen ein und reiste nach Miami. Sie musste ohne das Kind wieder abreisen.

Die Verwandten Eliáns in Miami setzten noch eins drauf und spielten einem spanischen Fernsehsender ein Videoband zu, auf dem Elián auf dem Bett sitzend seinem Vater sagt, dass er nicht nach Kuba zurückwolle – in der US-Presse wurde das Videoband mit dem eines Entführers verglichen.

Ein Bundesgericht wies den Antrag der Miami-Verwandten auf Asyl für das Kind ab – nur Eliáns Vater könne einen solchen Antrag stellen. Am vergangenen Mittwoch erließ nun ein Berufungsgericht eine einstweilige Verfügung, die Elián zunächst daran hindert, die USA zu verlassen, bevor sein Fall nicht in einer Hauptverhandlung gehört wird.

Die Entscheidung gilt als sensationell, weil sie den Personenkreis derer, die Asyl beantragen können, dramatisch erweitert – oder genauer gesagt: diesen Personenkreis nicht vorschnell einschränken will. Danach muss in einer Hauptverhandlung entschieden werden, ob nicht auch ein minderjähriges Kind Anrecht auf einen Asylantrag hat, selbst gegen den Willen des Vaters.

Eliáns Vater Juan Miguel richtete gestern einen dramatischen Appell an die US-amerikanische Bevölkerung: „Jeder, der ein Gefühl hat, weiß um die Liebe eines Vaters zu seinem Kind. Bitte, helft mir. Politik darf nicht vor Familienbande kommen. Es schmerzt mich zu sehen, was sie mit meinem Sohn in Miami machen.“ Nach Monaten des Schweigens hat sich auch Präsident Clinton in den Fall eingeschaltet. Elián, sagte er bei einem Pressetermin anlässlich des Besuchs von Jassir Arafat in Washington, sollte zu seinem Vater. Der hat eingewilligt, in den USA zu bleiben, bis die Gerichte gesprochen haben. Das allerdings könnte noch Monate dauern.