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: Wittgenstein und das Problem des Wortes „schön“

OHRENWACKELN MIT PHILOSOPHEN

„Was Schönheit sey, das weiss ich nicht“, wusste schon der Geheimrat Goethe. Daran, dass sich das Unwissen ständig vergrößert und damit ja auch das Wissen, arbeiten Philosophen. (Selbstverständlich gilt umgekehrt das Gleiche.) Wenn die dabei gewonnenen Erkenntnisse als besonders bemerkenswert befunden werden, erhält nicht nur ihr geschriebenes, sondern zudem ihr gesprochenes Wort ganz besondere Bedeutung. Über das Problem, das Wort „schön“ zu beschreiben, referierte 1938 der Philosoph Ludwig Wittgenstein in Cambridge. Seine Vorlesungen über Ästhetik hielt er in seinen privaten Gemächern. In schriftlicher Form von Wittgenstein selbst existieren die Vorlesungen nicht, wohl aber schrieben seine Studenten eifrig mit.

Aus ebendiesen Mitschriften besteht dieses jüngst erschienene Taschenbuch: „Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychoanalyse und religiösen Glauben“. Es ist fraglich, ob der Philosoph selbst der Veröffentlichung zugestimmt hätte, meint Herausgeber Cyril Barrett, dessen Textauswahl mit einem hübschen Wittgensteinporträt vor einer fürchterlich zerkratzten Schultafel geschmückt wird.

Worin besteht nun das Problem, das Wort „schön“ zu beschreiben? Zum einen, sagt die Mitschrift, weil es so groß ist und so schnell wegflutscht. Und dann, so Wittgenstein weiter, stellen wir uns vor, wir besuchten einen fremden Stamm, dessen Sprache wir nicht verstünden. Wie sollten wir wissen, was dem Wort „schön“ dort entsprechen würde? Ein Blick auf Gesten, Nahrung, Spielzeug kann da weiterhelfen. Aber was wäre, wenn wir mit Wesen kommunizieren müssten, die aus Kugeln mit herausragenden Antennen bestünden? Oder mit einem Stamm, dessen einzige mit dem Mund erzeugte Geräusche Atmen oder Musik wären, der die Sprache aber mit den Ohren erzeugte, durch Ohrenwackeln oder Ohrensausen beispielsweise. Wonach wäre da zu suchen?

Der Philosoph rät, die Gesten des Stammes in Analogie zu unseren zu interpretieren. Es beginnt also nicht mit bestimmten Wörtern, sondern mit bestimmten Gelegenheiten und Handlungen. Die computererstellte Rekonstruktion dreier Zeichnungen mit dem Smile-Gesicht und kleinen Unterschieden in der Linienführung veranschaulicht den Ausdruck beziehungsweise eine unzählbare Anzahl von Ausdrücken.

Dass daraus noch niemand einen Button, den Wittgenstein-Smile-Button gemacht hat, finde ich schade. Andererseits bietet die DLWG der Uni Passau für DM 50 auf ihrer Homepage ein Poster mit ganz vielen Zeichnungen von Wittgenstein an, darunter auf Feld h 4 auch zwei Smilies (aus denen leicht ein Button zu fertigen wäre).

In der erschienenen Mitschrift sind auch die Einwürfe seiner studentischen Zuhörer vermerkt, recht kritische zuweilen, die das Lesen des anregenden Textes angenehm aufmuntern. Übrigens lernte Wittgenstein in seiner eigenen Studentenzeit den gleichaltrigen englischen Philosophiestudenten David Hume Pinsent kennen, mit dem er 1912 Island bereiste (und in den er nach Meinung einiger Wittgenstein-Experten verliebt war). Auch darüber gibt es ein Buch, wie das eingangs erwähnte auch dieses sozusagen aus zweiter Hand. Es sind die Tagebuchaufzeichnungen von Pinsent, die im gelbblau eingebundenen Paperback „Reise mit Wittgenstein in den Norden“ wiedergegeben werden.

Viel Belangloses und gelegentlich auch mäßig Interessantes. Sie steigen im Hotel Reykjavík ab, wollen mit Pferden das Land bereisen. In Thingvellir lehrt Wittgenstein seinen Gefährten den Gebrauch seiner symbolischen Logik, was diesen zu der Eintragung verleitet, dass sein Kommilitone das Zeug zu einem sehr guten Lehrer habe. Bei aufregenden Felsbesteigungen verliert Wittgenstein jedoch offensichtlich seine empfindsamen Nerven. Er bettelt Pinsent inbrünstig an, doch nicht sein Leben aufs Spiel zu setzen, und findet die heißen Quellen viel interessanter, womit er – finde ich – vollkommen recht hat. Leider ist von den zahlreichen Fotos, die Pinsent während ihrer Reise aufnahm, kein einziges mehr erhalten. Schade.

WOLFGANG MÜLLER

Ludwig Wittgenstein, „Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychoanalyse und religiösen Glauben“. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2000, 19,80 DM David Hume Pinsent, „Reise mit Wittgenstein in den Norden“. folio, Wien-Bozen 1994, oft im Modernen Antiquariat zu finden für etwa 20 DM