Führer der Klamotte

South Park lässt schön grüßen: Frank Castorf hat in Hamburg denNazi-Science-Fiction „Vaterland“ von Robert Harris uraufgeführt

von ROBERTO OHRT

Als 1992 der Roman „Fatherland“ in London erschien, glaubten einige deutsche Journalisten, das Buch von Robert Harris wollte einer „antideutschen“ Stimmung auf der Insel das Wort reden. Wie könne man von der Machtposition des größer gewordenen Deutschlands – ob nun als federführendes Mitglied der EU oder im Hinblick auf die neue Situation im Osten – auf die Erfüllung der Kriegsziele der Nazis schließen? Das sei entweder vollkommen abwegig oder einfach nur irrational und böswillig. Tatsächlich provozierten einige wenige Passagen des Buches, aber dass die eher unbedeutenden Details Harris’ aufmerksame Kritiker alarmierten, verriet, wie sehr die innen- und außenpolitische Situation Deutschlands 1992 den angedeuteten Vergleich nahe legte.

Zur Frage historischer Kontinuitäten – zum Beispiel einer funktionierenden Gleichschaltung in großen Teilen der Öffentlichkeit – sei noch angemerkt: Das Buch wurde von 25 deutschen Verlagen abgewiesen, bevor es, aus dem Englischen übersetzt, im Schweizer Haffmans Verlag erscheinen konnte. Es war also erfreulich, dass „Vaterland“ am 20. April zumindest als Theaterstück seine Uraufführung in dem Land erlebte, um das es geht, von Frank Castorf fürs Schauspielhaus in Hamburg inszeniert.

Der Roman von Harris arbeitet wie ein Agent. Getarnt im ungemütlichen Mantel eines schwarzen Thrillers, drängt er seine Leser in die Vorstellung eines normal gewordenen Nazideutschlands, das 1964, also knapp 20 Jahre nach dem siegreich beendeten 2. Weltkrieg, wie jedes Jahr im April das schäbige Alltagsleben für die Feierlichkeiten des Führergeburtstags herrichtet. Am Rande der gigantischen Schauplätze des Speerschen Berlins verdichten sich die Hinweise auf ein Geheimnis, dessen Enthüllung weitaus bedrohlicher wird als die Aufklärung einer Serie düsterer Todesfälle, die den desillusionierten Kommissar X. März auf die Spur jener anderen Sache bringen. Mit der Schärfe und Härte eines reißerischen Krimis lenkt Harris den Blick auf die zum Staatsgeheimnis gewordene „Endlösung der Judenfrage“; er benutzt die Sprache des Verbrechens, um vom Holocaust zu reden, und präsentiert schließlich – als den McGuffin seiner Geschichte – die Originaldokumente der Wannseekonferenz von 1942. Diese Verschränkung des Realen mit dem Fiktiven, in dem das scheinbar Bekannte als gefährliches Geheimnis zurückkehrt, zielt auf die Verdrängung der Vergangenheit und erfasst gleichzeitig die Faszination am Verbrechen, die die Massenkultur der Nachkriegszeit beherrschte. Es mag Castorfs gute Absicht gewesen sein, die komplexe propagandistische Konstruktion von Harris fürs Theater zu nutzen, doch in seinem Trojanischen Pferd hält niemand still.

Einigermaßen gelungen ist lediglich das Bühnenbild und wie auf diesem einzigen Schauplatz fast die gesamte Handlung des ausgesprochen filmisch erzählten Romans erscheinen kann. Ansonsten war die Premiere schlicht langweilig. Dabei ist es vor allem bedauernswert, dass sich Castorf so eng ans Buch hielt. Man hat seinen Abend besser genutzt, wenn man gleich den Krimi liest. Die Inszenierung folgt zwar sklavisch der Vorlage, lässt den komplizierten Plott aber doch nur erahnen und verhunzt das dramatisch zugespitzte Ende vollkommen.

Die Protagonisten hetzen von Anfang an durch ihren Text wie durch überfüllte Untertitel, während sie auf der Ebene der Darstellung von einem ganz anderen Stück geritten werden. Da ist dann schwer zu sagen, ob X. März als Kriminaler von seinem Job im Nazi-Berlin die Schnauze voll hat oder ob nur der Schauspieler (Stephan Bissmeier) unter seiner Doppelbelastung als Lieferant all der Fakten leidet, die das Publikum fürs Verständnis braucht. In der weiblichen Hauptrolle steigert Silvia Rieger als amerikanische Journalistin diese Spaltung bis in eine hysterisierende Emotionalität hinein, die auf einer Schultafel von South Park vorgezeichnet sein könnte. Offenbar wollte man das Schauspiel in den Klamauk oder dessen Jämmerlichkeit retten, wofür Bernhard Schütz die überzeugendsten Hopser vorführt, obwohl auch er das Stück nur wie ein Hund sein Herrchen anspringt.

Harris orientierte sich mit seinen Charakteren sicherlich an Stereotypen. Trotzdem kann er damit eine Geschichte erzählen, die von Würde oder Barbarei handelt. Dass Castorf mit seinen Schauspielern vorwiegend auf den Schwächen der Figuren herumtrampelt, um schließlich nichts weiter als elende Hampelmänner und -frauen vorzuführen, ist die eigentliche Enttäuschung. Mit diesem „Stoff“ kann man schwerlich über eine Epoche sprechen, die die Vorstellungskraft von der Hölle, die Menschen einander bereiten können, mit Unvorstellbarem konfrontiert hat. Wenn Castorf die grausige Lächerlichkeit einiger Figuren, wie sie uns aus den historischen Dokumenten entgegentritt, anbietet, ist das nur etwas Wahres im Falschen, naiv und feige, und so kitschig und plakativ wie der Einsatz der Bilder vom jetzigen Wiederaufbau eines machtvollen Berlins und die Spekulation mit den jüdischen Liedern, die konfus am Ende des Stücks stehen.