Elián hilft Castro aus der Isolation

Hauptfeind des kubanischen Staatschefs sind nicht länger „die Amerikaner“, sondern die Exilkubaner, die zum größten Teil in Miami leben

aus Washington PETER TAUTFEST

Während Kubas Staatschef Fidel Castro am Ostersamstag einen eintägigen Frieden mit den USA verkündete und dabei Bill Clinton und Justizministerin Janet Reno lobte, ist die Gemeinde der Amerikaner kubanischer Abstammung dabei, das Tischtuch zwischen sich und der US-Regierung zu zerschneiden. „Ich schäme mich, ein Amerikaner zu sein“, stand auf einem Transparent, das am Samstag vor dem Haus von Elián González’ Großonkel Lazaro in Miami getragen wurde. Demonstranten schwenkten umgedrehte Sternenbanner, eine Geste, die sonst der linken Radikalopposition gegen den US-Imperialismus vorbehalten ist.

Das fünfmonatige Drama um den sechsjährigen Elián González, das im Morgengrauen des Ostersamstags mit einer spektakulären Polizeiaktion endete, hat wie kein anderes Ereignis seit der US-Invasion in der Schweinebucht im April 1961 das Verhältnis zwischen den USA und Kuba neu bestimmt und die Fronten verkehrt.

Um Elián González, der bei einem Fluchtversuch aus Kuba im November letzten Jahres zwei Tage an einen Schlauch gebunden auf offener See trieb und dabei seine Mutter hatte ertrinken sehen, war ein Tauziehen biblischen Ausmaßes entbrannt – nur dass sich im Miami des 20. Jahrhunderts kein Salomon fand, den Streit um das Kind mit einem Urteil beizulegen. Anders auch als in Jerusalem vor 3.000 Jahren zankten sich um dieses Kind nicht Mutter und Amme und auch nicht nur der kubanische Teil der Familie González mit dem in Kuba zurückgebliebenen Vater, sondern Kubas Máximo Líder Fidel Castro mit seinen Erzfeinden – und das sind nicht mehr die USA, die seit langem einen Weg suchen, den Anachronismus der Isolierung Kubas zu überwinden, sondern die Exilkubaner, die in Miami konzentriert sind.

Kaum war Elián gerettet und mehr aus Verlegenheit denn aus irgendeiner Berechnung seinen entfernten Verwandten in Miami vorübergehend anvertraut worden, startete Castro mit gewaltigem Propagandaaufwand eine Kampagne für dessen Rückführung nach Kuba. Da die internationale und US-amerikanische Rechtslage eindeutig sind und dem Vater am Ende ohnehin sowohl das Sorgerecht wie das Aufenthaltsbestimmungsrecht über das Kind zugesprochen werden würde, gab es eigentlich keine Notwendigkeit, den Fall derart aufzubauschen. Castro aber erkannte seine Chance, und die Exilkubaner in Miami nahmen den Fehdehandschuh auf.

Im Streit um Elián haben sich die Exilkubaner isoliert

Die Exilkubaner in Miami sahen in Elián und im Streit um das Sorgerecht für den Sechsjährigen einen Katalysator zur Mobilisierung ihrer Anhängerschaft. Und Fidel Castro, seinen unvermeidlichen Abgang von der politischen Bühne vor Augen, sah eine Gelegenheit, die kubanischen Kubaner auf ihren wirklichen Feind einzuschwören: die Exilkubaner, die dereinst nach Kuba zurückkehren und wie die Wessis in der DDR Besitz und Macht zurückfordern würden.

Im Streit um Elián haben sich die Exilkubaner in den Augen der Inselkubaner von ihrer erschreckendsten Seite gezeigt und sich dabei gründlich isoliert. Castro konnte in täglichen Fernsehdiskussionen, Talkshows, Expertengesprächen, Solidaritätsbekundungen und wöchentlichen Kundgebungen die Erinnerung an Elián wach halten und darauf vertrauen, dass sich die Kubaner in Miami immer weiter in die Isolation manövrieren.

Die Exilkubaner, die mit ihrem antikommunistischen Anliegen in den USA bisher stets auf Wohlwollen gestoßen waren, begannen ihre geheiligten amerikanischen Prinzipien zu opfern; Amerikas Konservative mögen antikommunistisch sein, die Familie aber ist ihnen heilig. Der US-Senat hat bis heute nicht die Konvention über die Rechte des Kindes ratifiziert, weil konservative Senatoren darin einen Versuch sehen, die Rechte des Kindes über die der Eltern zu stellen. Dass er die Familie zerstöre und Eltern ihre Kinder wegnehme, gehört zum beliebten Angriffsrepertoire gegen den Kommunismus. In Miami aber verkehrten sich die Fronten. Es waren die antikommunistischen Exilkubaner, die einem Vater sein Kind wegnehmen wollten.

Miamis Kubaner rührten auch an einen anderen Nerv des US-amerikanischen Selbstverständnisses: dass sich Immigranten letztlich in die US-Gesellschaft eingliedern und nicht ihre nationalen Interessen im Gewande amerikanischer Staatsbürgerschaft verfolgen.

Miami: eine exterritoriale Enklave in den USA

Durch den Protest der Kubaner aber wurde erst deutlich, wie stark Miami zu einer exterritorialen Enklave in den USA geworden war: „Willkommen im freien und unabhängigen Miami“ stand auf einem Plakat, das vor dem Haus der Familie González prangte.

Das Tüpfel aufs i setze der Bürgermeister von Miami, als er am Samstagmorgen von einer schändlichen Attacke der US-Regierung sprach. Dass Marisleysis, die 21-jährige Cousine Eliáns, ausrastete und mit sich überschlagender Stimme die USA attackierte, mochte noch angehen. Dass aber der Bürgermeister einer US-amerikanischen Metropole so redet, wird als Skandal empfunden. Entsprechend werden die Republikaner, die zur Zeit in das Wutgeheul über den „Überfall vom Samstag“ einstimmen, von den Kubanern bald ablassen. Kubaner sind nicht die einzigen Latinos im Süden Floridas und selbst in Miami bald auch nicht mehr die zahlenmäßig stärkste. Und mit Kubanern allein kann man die Stimmen der Hispanics nicht gewinnen – das wissen auch die Republikaner. Der Demokrat Al Gore hat sich derart blamiert, als er sich für ein Verbleiben Eliáns in den USA aussprach, dass sich so bald kein Politiker bei den Exilkubanern mehr so plump anbiedern wird.

Die Exilkubaner haben sich insgesamt so isoliert, dass sie als ernst zu nehmender Störfaktor bei einer Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Kuba nicht mehr ins Gewicht fallen werden.