Böse Bayern in der neuen Hauptstadt

Der Innensenator hält die Antifaschistische Aktion für gefährlich. In der linken Szene gilt sie als unpolitisch

Sie sind viele, sie wollen den „Kampf ums Ganze“ und sie sind „Terroristen“ und „Reformisten“ zugleich: die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB), einst verspottet, heute unter strenger Beobachtung der Berliner Sicherheitsbehörden. Die AAB ist – wenn man Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU) glauben darf – die aktivste und größte linksradikale Gruppe in der Hauptstadt. Und damit für den Innensenator auch die gefährlichste.

Nach ihrer Gründung im Jahre 1993 wurde sie allerdings lange nicht ernst genommen. Ursache dafür war unter anderem die Namenswahl der antifaschistischen Aktivisten: „Agitation & Propaganda“ nannte sich die Gruppe zunächst, abgekürzt mit „Antifa (A + P)“. In der autonomen Szene brachte ihr das vor allem Spott: „Attraktiv und Preiswert“ oder „Alt und Pappig“ wurde die Gruppe genannt. Außerdem wurde der „Antifa A + P“ stets nachgesagt, sie sei ein Ableger von in die Hauptstadt gezogenen Aktivisten der Antifaschistischen Aktion Passau. Damit waren sie bei den linksradikalen Preußen schon so gut wie diskreditiert – als Provinzler aus Bayern ohne jedes Verständnis für die politischen Verhältnisse der Hauptstadt.

Die Mär von der zugereisten Gründergeneration hat sich auch zum Berliner Landesamt für Verfassungschutz rumgesprochen. Das Verhältnis der Gruppe zur Hauptstadtpolitik werten die Berufsspione hingegen anders: Die „von aus Passau nach Berlin umgezogenen militanten Autonomen“ gegründete Organisation, heißt es in einer Verfassungsschutzbroschüre „etablierte sich in kürzester Zeit und gilt heute nicht nur als die mitgliederstärkste, sondern auch als eine der politisch aktivsten Gruppen“. Dazu kommen eine städteübergreifende Vernetzung in der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation und eigene Jugendgruppen. Rund 70 AAB-Mitglieder zählt die Behörde, hinzu komme ein Mobilisierungspozential von „mehreren hundert Sympathisanten“.

Die AAB schweigt sich dazu aus. Mit bescheidenem Lächeln verweisen die organisierten Antifaschisten auf die Einschätzung der staatlichen Seite. Umso lieber sagen sie etwas zu ihrer politischen Zielrichtung: Stärkung der Linken und klare Gegnerschaft zur immer selbstbewusster auftretenden Neonazi-Szene. „Antifaschismus ist der Kampf ums Ganze“, lautet ihre Parole, denn sie wollen nicht nur den rechten Vormarsch aufhalten, sondern noch viel mehr: Es geht ihnen um eine bessere Gesellschaft.

Ihr Weg dazu führt auf die Straße: Auf Großdemonstrationen wie zum „Revolutionären 1. Mai“ oder der Gedenkveranstaltung für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg werde die radikale Linke wieder sichtbar, sagt der AAB-Mann Jens Heinrich. „Polizei und Innenverwaltung versuchen deshalb, linke Kräfte mit allen Mitteln einzuschüchtern.“ Erst Ende Februar verkündete Werthebach auf einer Pressekonferenz, die AAB beteilige sich an „unzweifelhaft terroristischen Aktionen“. Gegen diese „Diffamierung des Innensenators“ wollen die Antifaschisten gerichtlich vorgehen, wenn die Innenverwaltung nicht eine Unterlassungserklärung unterzeichnet.

Im völligen Gegensatz zum Terrorismusvorwurf stehen die Ansichten der linken Szene über die AAB: entpolitisierend, oberflächlich, reformistisch, heißt es da. Insbesondere in der Diskussion um den 1. Mai, den viele Traditionsdemonstranten dank von der AAB aufgefahrenen Demo-Trucks mit Live-Musik schon zur „Love Parade für Linke“ oder zum „Pop-Event“ verkommen sehen. Erstmals für Wirbel sorgte die Antifa-Gruppe 1996, weil sie in Konkurrenz zur traditionellen Demonstration durch Kreuzberg zu einem Protestmarsch durch den Ostteil der Stadt mobilisierte. „Spaltung“ wurde der AAB vorgeworfen. Und fast niemand lobte ihr Verdienst um die linksradikale Szene: 1996 blieben die Schlägereien der Vorjahre zwischen verschiedenen linken Gruppen auf der Mai-Demonstration aus. DIRK HEMPEL