Wie aus dem Müll gezogen

Wie man im Gebrauchtwarenhaus der BSR billig zu neuen Sofas, Möbeln und überhaupt viel Gelsenkirchener Barock kommt
von HERBERT BECKMANN

Mitten in Berlin, in Berlin-Mitte nämlich, gibt es ein Haus, in dem ich und du und die Kuh dazu täglich Sachen suchen können, so wie Pippi Langstrumpf mit Thomas und Annika. Fündig wird, wer sich vorher möglichst keine Vorstellung von den Sachen macht, die eigentlich gesucht werden sollen. Hinter einem gewienerten Angeberneubau in der Holzmarktstraße steht man unerwartet vor einer flachen grünlichen Autowerkstatt, die sich bei näherem Hinsehen als das gesuchte Sachensucherhaus entpuppt. Das wäre schon mal gefunden.

Rechts geht es hinein, und hinaus kommst du nur ganz hinten links, nachdem du dir all die Sachen angeschaut hast, die entlang einem tunnelartigen Korridor in den seitlich davon abgehenden Räumen zusammengetragen worden sind. Imposant ist bereits die Sofaabteilung, die ein ziemlich genaues Abbild der Geschmacksverirrungen der Kohl-Generation bietet.

In Ordnung sind sie alle, viele gut gepflegt, manche wurden gar mit Schonbezügen versehen und würden wie neu aussehen, sähen sie nicht so alt aus. Star unter den Objekten dieser Ecke ist ohne Zweifel die mit dadaistischer Wortartistik angebotene „Rund-Ecke, rot, Leder“ zu dem originellen Preis von 305 Mark, eine mit orangeroten und grasgrünen Längsstreifen verzierte Sitzecke, deren zwei gleich lange Seiten sich zur glasbedeckten, tuchunterlegten, höchst eckigen runden Ecke zusammenraufen.

Ein kleines Mädchen im Puppenalter, seinen Eltern entwischt, steht mit wissenschaftlichem Interesse vor einem länglichen Regal mit Haushaltsnippes aller Art, rostigen Büchsenöffnern, verbogenen und standhaften Messern, Gabeln, Löffeln, runden und eckigen Plastikteilen, deren Sinn sich einem nicht unbedingt erschließt – stumme Relikte einer untergegangenen Kohorte. Hübsch anzusehen ist eine Miniausstellung mit geblümten Kaffeeservices, die sogleich eine Zeit ins Gedächtnis rufen, da Omas noch Prüttkaffee bis zum Überlaufen in die Tassen ihrer Gäste einschenkten. Über die Wohnzimmermöbelausstellung lässt sich immerhin sagen, dass sie durchaus bodenständig und stabil wirkt, stilistisch sind die Stücke alle mehr oder weniger dem Gelsenkirchener Barock verwandt.

Überhaupt kommt die Kultur nicht zu kurz. Ein Riesenwandregal, wahrscheinlich aus Holzimitat-Imitat gezimmert, besticht durch die optische Bandbreite der Bücher (oftmals über 500 Seiten Umfang), den unschätzbaren Wert mancher Fundstücke (Luis Trenker: „Die Sonne über Sorasas“, Bücherbund-Ausgabe ohne Jahrgang) sowie die Praxisorientierung der Sachtitel („Der Wundverschluss im OP“).

Auch die bildende Kunst wird hier groß geschrieben. Bewundernd schaut das kleine Sachen suchende Mädchen nun auf zu einer Galerie annähernd nach dem Dominoprinzip gehängter Bilder: Bergbilder, Bergseebilder, Seebilder, Seerosenbilder, Rosenbilder und so fort.

Am Ende, kurz vor dem Ausgang, hat das Mädchen seine Eltern wieder. Es ist sogar fündig geworden, und seine Eltern, nun ja, haben auch etwas gekauft: ein zierliches, golden blinkendes ehemaliges Mokkaservice kann es als Puppenservice zu neuem Glanz bringen, ein gut erhaltener Brötchenkorb soll, so der kindliche Wille, in Zukunft als chinesischer Korbhut dienen.

Die Rund-Ecke aber bleibt für heute da, sie ist wohl doch zu schwer, um sie in der U-Bahn gleich mitzunehmen. Doch schließlich muss man ja beim Sachensuchen die gefundenen Schätze keineswegs an sich nehmen oder gar kaufen. Pippi Langstrumpf zum Beispiel, Vorbild aller Sachen suchenden Kinder auf der Welt, findet einen schlafenden Bürgermeister im Gras und lässt ihn am Ende dennoch liegen. Wozu soll man den auch gebrauchen?

Wer auch Sachen suchen will, der oder die besuche das Gebrauchtwarenhaus der BSR in der Holzmarktstraße 19–24, Berlin-Mitte. Öffnungszeiten montags bis freitags 9 bis 18 Uhr, samstags 9 bis16 Uhr, sonntags (nur finden möglich, nicht kaufen) 10 bis 14 Uhr. Am Samstag, dem 13. 5. 2000, ab 11 Uhr soll zudem die nächste Versteigerung stattfinden.

Hinweis:BSR-GEBRAUCHTWARENHAUS:„Die Sofaabteilung ist ein Abbild der Geschmacksverirrungen der Kohl-Generation“