Drecksau an der Schleuder

Die 17-jährige Schülerin Ina Schmidt aus dem hessischen Babenhausen gilt als weltweit beste Feldarmbrustschützin. Frauen treffen mit der antiquierten Fernwaffe meist besser als Männer

von THOMAS HERGET

An die Wette, die vor vier Jahren ihre Sportkarriere einleitete, erinnert sich die junge Frau gerne zurück. „Frauen können das nicht“, vertröstete einst ein gleichaltriger Dreikäsehoch das pubertierende Mädel. Die aber trollte sich nicht, griff ihrerseits zur Waffe und traf gleich ins Schwarze. Seitdem hat Ina Schmidt ihr nostalgisch anmutendes Sportgerät nur selten aus der Hand gegeben.

Vor nationalen und internationalen Ausscheidungen zieht es die 17-Jährige bis zu fünfmal wöchentlich bei Wind und Wetter auf dem morastigen Gelände ihres Vereins SV Diana Ober-Roden zur Armbrust. „Wir sind so was ähnliches wie die Dreckschweine im Schießsport“, hat Schmidt erkannt. Mit den sensiblen Clubkameraden, die der ballistischen Leidenschaft mit Luftgewehren in einer geschlossenen Anlage nachgehen, verbindet sie wenig. Und so steht sie heute einmal mehr mit ihrer klobigen Waffe allein in der südhessischen Pampa und wartet auf einen windstillen Moment, um den so genannten Anschlag, mit dem der sichere Stand mit der Armbrust gemeint ist, rauszufinden.

Im Training überprüft sie ihre Position noch manchmal mit dem Laser, um das Gespür für den exakten rechten Winkel zur Scheibe zu schulen. Konzentration ist gefragt – und Kraft: Bis zu 210-mal muss an Wettkampftagen der Bogen mit 45 Kilogramm vorgespannt werden. Geschossen wird an zwei Tagen auf Entfernungen bis zu 60 Meter. Weil nach einer Serie von drei Schuss die Aluminiumprojektile wieder eingesammelt werden müssen, hätte sich Ina Schmidt Kilometergeld verdient.

Es ist schon lange her, dass sie sich zierte, „mein Hobby als echte Sportart anzuerkennen“. Mittlerweile füllen ganze Pokaltrauben die Vitrine im elterlichen Haus. Sie ist Europa- und Weltmeisterin, und weil im Juniorenbereich Frauen und Männer gemeinsam Zielwasser trinken, kann Schmidt ihre Erfolge auch als emanzipatorische Einzelleistung feiern. In Deutschland, wo diese Sportart seit zwölf Jahren betrieben wird, ist sie bislang ohnehin die einzige Frau, die an der sperrigen Waffe den Finger am Abzug hat.

Bammel vor der internationalen Damen-Weltspitze, die sie im Laufe der nächsten drei Jahre aufmischen will, hat sie nicht: „Ich habe meine Resultate mit denen der Weltspitze verglichen und war baff, denn ich hätte auch dort klar gewonnen.“ Allerdings: Wenn sich die groß gewachsene blonde Frau mit den Weltbesten anlegen will, wird sie zur Weltenbummlerin werden müssen. Nur in den Kroatinnen und Neuseeländerinnen findet die hessische Schülerin adäquate Gegenüber.

Neben den geschlechtsspezifischen Klischees schrecke, glaubt Schmidt, hierzulande auch der relativ hohe Anschaffungspreis einer Armbrust manch potenziellen weiblichen Nachwuchs. 5.000 Mark kostet so eine bis zu 10 Kilogramm schwere Schleuder mit Holzsäule und Carbonbogen, individuell gefertigt nach den Maßen des Schützen. Schmidt bringt mit ihrer Spezialanfertigung Pfeile auf eine Entfernung von 100 Metern punktgenau ins Ziel. Mit Inas Präzisionsgerät hätte Wilhelm Tell kaum zittern müssen, als er vom habsburgischen Landvogt Geßler gezwungen wurde, einen Apfel vom Kopf des eigenen Sohnes zu schießen.

Im 15. Jahrhundert wurde die wuchtige Fernwaffe von kleineren Handfeuergeräten abgelöst, jetzt feiert die Armbrust in der kleinen Gemeinde Babenhausen Dank Inas Erfolgen eine Renaissance als Sportgerät. Das Talent hat sie von Vater Manfred geerbt. Der war selbst Weltmeister mit der Mannschaft und einmal Deutscher Meister. Dann verweigerten seine schlechter werdenden Augen langsam den Dienst an der Waffe. Und der gelernte Werkzeugmacher stellte sein handwerkliches Können dem Club zur Verfügung.

Nicht nur der Tochter verschaffte der 47-Jährige einen zielsicheren Einstieg ins Metier, auch die übrigen Vereinsmitglieder werden regelmäßig mit Basteleien bedacht. Und wenn mal einermit der Abstimmung hadert, feilt Schmidt gerne an der Technik herum: „Ich weiß schon, wo an so einem Ding die Leistung steckt.“ Am handgeschnitzten Grundgestell jedenfalls nicht, „das hält ein ganzes Schützenleben“.

Als Waffenschmied mag der Mann ein filigraner Tüftler sein, als Betreuer seiner Tochter entpuppt sich Papa zuweilen als harter Hund. Gut schießen hat nichts mit Glück zu tun, bestimmt der Trainervater: „Das beste Schießtraining ist der Schießstand.“ Selbst wenn Tells Enkelin an kalten Wintertagen mal zum Weichei wird und an manchen Tagen doch lieber mit dem Luftgewehr drinnen in der Halle übt.

Zu kraftstrotzenden Ausgleichssportarten hat Ina, sagt sie, ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits täte ihr körperliche Fitness gut, andererseits muss sie aufpassen, nicht zu viel Muskelmasse anzusetzen. Je mehr ein Schütze davon im Oberkörper aufbaut, desto mehr kann er zittern. Bedeuten zu viele Stunden in der Mucki-Bude also das Ende einer ruhigen Hand? „Die Jungs, mit denen ich trainiere, haben sich jedenfalls verschlechtert, nachdem sie mit Krafttraining angefangen haben.“

Oft schießen Frauen einen Ring mehr als Männer. Ina Schmidt glaubt das anatomisch belegen zu können: Breitere Hüften schafften einfach bessere Voraussetzungen beim Stand – „da bleibe ich mit beiden Beinen fester auf dem Boden“.