Omas melden sich zur Schule an – um sie zu retten

Der Dorfschule im Vogtland droht die Schließung. Wegen Schülermangels stehen hunderte Lehranstalten im Osten vor dem Aus

DRESDEN taz ■ Der Trick ist bauernschlau. Um ihre Schule zu retten, haben sich 59 Omas und Opas aus dem vogtländischen Tannenbergsthal für die 5. Klasse angemeldet. „Man soll sich ja auch im Alter fit halten“, sagt die 63-jährige Rentnerin Anneliese Weißflog. Und überhaupt: Der Ort habe seit sie denken kann eine Schule. „Das muss so bleiben.“

Statt der dafür erforderlichen 33 Schüler haben sich für Klassenstufe fünf bislang nur 19 für das kommende Schuljahr angemeldet. Das heißt: Die 5. Klasse wird gestrichen. Der Anfang vom Ende der Dorfschule, wie Bürgermeister Karl-Heinz Müller (CDU) vorrechnet. Binnen drei Jahren würde die Lehranstalt, die im Einzugsgebiet von drei Gemeinden mit 4.500 Einwohnern liegt, wegen Schülermangels dichtgemacht. Die Schüler müssten dann mit dem Bus täglich knapp 30 Kilometer fahren, was einen Achtstundentag bedeuten würde. „Den Schülern wird die Kindheit geraubt“, echauffiert sich Anneliese Weißflog.

Dank der lernwilligen Rentner – so die Tannenberger Philosophie – wird die Quote nun locker gepackt. „In keinem Schulgesetz steht etwas über das Alter von Mittelschülern geschrieben“, sagt Andrea Roth, Tannenbergsthaler Gemeinderätin und PDS-Landtagsabgeordnete.

Allerdings haben die bildungshungrigen Rentner ihre Rechnung ohne die Bildungsbehörde gemacht. Die örtliche Schulleiterin teilte ihnen auf Weisung des Regionalschulamtes mit, dass ihre Aufnahme in Klasse 5 „nicht möglich“ sei. Gemäß § 5 der „Schulordnung Mittelschulen“ würden Schüler in die Klassenstufe fünf nur „im Anschluss an die Grundschule“ aufgenommen. Die Omas und Opas können gegen diesen Bescheid binnen eines Monats Widerspruch einlegen.

Was als lustige Gebirgsposse daherkommt, hat in Wirklichkeit ernste Wurzeln in ganz Ostdeutschland. Wegen der geburtenschwachen Jahrgänge – eine Folge der Unsicherheit nach der Wende – fehlt vielen Schulen die Wirtschaftlichkeit. Ihre Schließung droht. Allein in Sachsen wurden bislang seit 1995 über 200 Schulen geschlossen, 130 sollen bis 2002 folgen, weitere 200 gelten als gefährdet.

Weniger Schulen bedeuten weniger Lehrer, was die um Haushaltskonsolidierung bemühten Finanzminister Ostdeutschlands freut. In Sachsen ist der Abbau von 5.665 Lehrerstellen bis zum Jahre 2005 bereits beschlossen, die derzeitigen Haushaltsberatungen zeigen, dass weitere folgen sollen. Doch dagegen regt sich jetzt vermehrt Widerstand. In Dresden besetzen seit zwei Monaten Eltern eine Grundschule, um die Schließung zu verhindern. In Leipzig protestieren die Schüler. Und: Natürlich werden die Tannenbergsthaler Rentner gegen den Bescheid des Regionalschulamtes in den nächsten Wochen in Berufung gehen. NICK REIMER