Pinochet kam nicht

In Abwesenheit des chilenischen Exdiktators begann der Prozess um die Aufhebung seiner Immunität. Verhandelt wird über juristische Details

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Nur ein Häuserblock trennt ganz Chile in zwei Lager. An der einen Straßenecke haben sich die Pinochet-Gegner versammelt. Auf ihren Transparenten kleben Schwarzweißporträts von Oppositionellen, ermordet während der Militärdiktatur. An der anderen Straßenecke stehen die Gefolgsleute des Generals mit Farbporträts ihres Übervaters Pinochet. Beide Gruppen eilten fast zeitgleich zum Gericht in Santiago und zeigen, wie gespalten die chilenische Gesellschaft über Pinochet ist. Dicke Eisengitter und Polizisten trennen die Anhänger beider Lager voneinander, trotzdem kommt es vereinzelt zu Scharmützeln, vier Menschen werden festgenommen.

Noch mehr Eisengitter schützen das Gerichtsgebäude in Santiago. Dort begann am Mittwoch der Prozess um die Aufhebung der Immunität des Exdiktators Augusto Pinochet. Ein Prozess, der zeigen wird, wie ernst es Chile mit der Aufarbeitung seiner Vergangenheit ist.

Pinochet erschien zum Prozessauftakt nicht vor Gericht. Der Beginn der Anhörung verzögerte sich um rund zwei Stunden, weil Pinochets Anwälte ein Gesundheitsgutachten beantragt hatten.

Hinter verschlossenen Türen haben 21 Richter darüber zu entscheiden, ob die juristischen Argumente der Kläger schwer genug wiegen, um Pinochets Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung aufzuheben.

Als Senator auf Lebenszeit darf sich Pinochet bislang sicher fühlen. Kein Richter kann ihn wegen der unter seiner Diktatur begangenen Verbrechen auf die Anklagebank zitieren. Eine Aufhebung der Immunität öffnet die Türen für einen Prozess gegen Pinochet. Derzeit stapeln sich auf dem Schreibtisch des Sonderstaatsanwalts Juan Guzmán 92 Anzeigen gegen den Exdiktator. Über 3.000 Menschen wurden unter der Pinochet-Diktatur (1973 bis 1990) ermordet. Unzählige mussten ins Exil flüchten. Viele Angehörige wissen bis heute nicht, was aus ihren Brüdern oder Töchtern geworden ist. Sie wissen nicht, wer sie wann und wo ermordet hat und wo die Leichen verscharrt liegen.

Der Fall Pinochet wird zu einem Puzzle juristischer Details und Spitzfindigkeiten. Konkret verhandelt das Gericht den Fall der berüchtigten Todeskarawane, mit dem die Klägeranwälte ihren Antrag auf Aufhebung der Immunität begründen. Nur einen Monat nach dem Putsch schickte Pinochet im Oktober 1973 einen Trupp Militärs durch das Land, der Oppositionelle aus den Gefängnissen schleppte, um sie zu exektutieren. Diese Todeskarawane ermordete 75 Menschen. Vor neun Monaten wurde ihr Anführer, der ehemalige General Sergio Arellano, verhaftet. Trotzdem ist für den Klägeranwalt Alfonso Insunza klar: „General Arellano hat nur auf Befehl Pinochets gehandelt.“ Auf 3.500 Seiten hat der Sonderstaatsanwalt Juan Guzmán Material über die Todeskarawane zusammengestellt und dem Gericht in Santiago vorgelegt.

Der sozialistische Präsident Ricardo Lagos verteidigte das Verfahren und betonte die Unabhängigkeit der Justiz. „In diesen Land sind die Gerichte für alle Bürger zuständig, ob sie arm sind oder mächtig“, sagte er. Lagos ist sich sicher, dass eine Entscheidung der Richter, wie auch immer sie ausfallen werde, „von allen respektiert werde“.

Pinochets Verteidiger legen Wert darauf, dass ihr Mandant prozessunfähig sei. Ob ein Gutachten über Pinochets Gesundheitszustand angefertigt werden muss, will das Gericht am Freitag entscheiden. Es wird damit gerechnet, dass der Prozess mindestens ein bis zwei Monate andauern wird. Sollte das Gericht es ablehnen, Pinochets Immunität aufzuheben, wird der 84-Jährige wohl niemals für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen.