Ein Linker, der richtig durchgreift

1997 übernahm Hector Silva unerwartet das Amt des Bürgermeisters von San Salvador. Inzwischen hat er gelernt, mit der Macht umzugehen

aus San SalvadorTONI KEPPELER

Er ist so richtig zum Knuddeln. Das, sagt man, war der Schlüssel zu seinem ersten Erfolg: dem Gewinn der Bürgermeisterwahl 1997 in San Salvador. Am 1. Mai nun tritt Hector Silva seine zweite Amtszeit an: als Hoffnungsträger der Linken. Als einer, von dem man erwartet, dass er etwas tut, dass er Erfolg hat, dass er 2004 Kandidat der FMLN, der ehemaligen Guerilla El Salvadors, für das Amt des Präsidenten wird – und dass er gewinnt.

Silva hat volles, graumeliertes Haar und einen grauen, sauber gestutzten Vollbart. Dazu leuchtende Augen. Er ist groß, aber nicht zu groß. Weder dick noch dünn. Silva ist das, was man einen stattlichen Mann nennt. Einer, bei dem man weiß, was man hat.

Hector Silva, heute 52, wurde 1997 Bürgermeisterkandidat unter anderem der „Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí“ (FMLN) und auf Anhieb gewählt. Fünf Jahre nach dem Ende des zwölfjährigen Bürgerkriegs in dem zentralamerikanischen Land regierte die ehemalige Guerilla die Hauptstadt. Seiner Wirkung auf Frauen habe Silva den Sieg zu verdanken, argwöhnten Kritiker.

Für die machtverwöhnte rechte Regierungspartei „Republikanisch Nationalistische Allianz“ (Arena) war Silvas Erfolg ein Schock. Sein Sieg traf sie hart. Arena-Kandidat Mario Valiente, der zur Wiederwahl angetreten war, betrank sich danach trotz Alkoholverbots vor laufender Kamera und weinte sich aus.

Drei Jahre später, im März 2000, schockierte Silvas Wiederwahl niemanden mehr. Sein Wahlergebnis: 57 Prozent. Das waren gut 15 Prozent mehr als sein Arena-Herausforderer. Und dies, obwohl die Rechtspartei mit dem Unternehmer Luís Cardenal einen großen, blonden, blauäugigen und ebenfalls vollbärtigen Kandidaten gefunden hatte. Aber es war längst nicht mehr der Frauenbonus, der Silva für drei weitere Jahre das Bürgermeisteramt sicherte.

Der Sprung vom Bürgermeistersessel der Hauptstadt in den Präsidentenpalast hat in El Salvador Tradition. Der Christdemokrat Napoleón Duarte, Präsident von 1984 bis 1989, hat ihn genauso geschafft wie der Arena-Mann Armando Calderón Sol (1994 bis 1999). Immer wenn sich ein ehemaliger Hauptstadtbürgermeister ums Präsidentenamt bewarb, hat er es auch gewonnen. Er musste vorher nicht viel geleistet haben. Hauptsache, er hatte keinen großen Fehler begangen.

Es liegt also auf der Hand, dass Hector Silva bei jeder sich bietenden Gelegenheit gefragt wird, ob er sein Amt nur als Sprungbrett verstehe. „Das ist wohl eine Frage, die mich auf ewig verfolgen wird“, sagt er. Aber eine Antwort gibt er nicht. Denn mit dem Gedanken kokettiert zu haben, Präsident zu werden, „war die größte politische Sünde, die ich begangen habe“.

Silva war kein Erneuerer, aber immerhin Hoffnungsträger

Silva war gerade ein Jahr im Amt und hatte noch nicht sehr viel zustande gebracht, da suchte die FMLN einen Kandidaten oder eine Kandidatin für die Präsidentschaftswahl 1999. Die Partei der ehemaligen Guerilla war damals ein zerstrittener Haufen. Sie hatte sich in zwei Lager gespalten: In die „Orthodoxen“, für die der Sozialismus weiterhin das irgendwann einmal zu erreichende Ziel blieb, und in die „Erneuerer“, die die einst stramm militärisch-marxistisch orientierte Front in eine sozialdemokratische Volkspartei verwandeln wollten. Jeder dieser Flügel machte sich selbstständig auf die Kandidatensuche.

Die Erneuerer fragten Silva, die Orthodoxen die ehemalige Menschenrechtsbeauftragte Victoria Marina de Aviles. Es hätte auch anders herum sein können. Denn Silva gehörte genauso wenig zu den Erneuerern wie Aviles zu den Orthodoxen. Aber erst einmal aufs Schild gehoben, passte sich Silva schnell an. Plötzlich war er nicht mehr der liebenswerte Frauenschwarm, als der er 1997 ins Bürgermeisteramt gewählt worden war. Er mimte den zornigen Volkstribun und schrie sich bei seiner Kandidatenrede die Seele aus dem Leib. Vergebens. In der Kampfabstimmung unterlag er knapp seiner Gegnerin. Aber auch die erreichte das Quorum nicht. Der Wahlparteitag der FMLN mündete in eine Schlägerei. Silva musste von Leibwächtern aus dem Saal bugsiert werden. Als später in einem Versöhnungsversuch Aviles als Kandidatin für die Präsidentschaft und Silva für das Amt des Vizepräsidenten vorgeschlagen wurde, lehnte er ab. Entweder Präsidentschaftskandidat oder gar nichts. Stellvertreterposten reizen Hector Silva nicht. Er war beleidigt. Aber er lernte aus der Niederlage.

Aviles ist eine leise Politikerin. Sie ist prinzipienfest, charmant, vereinnahmend und motivierend. Darin ist ihr Silva ähnlich. In der Rolle des donnerwetternden Caudillos, in die er für den Wahlparteitag geschlüpft war, wirkte er unglaubwürdig. Er zeigte nur seinen Willen zur Macht.

Geschlagen zog sich Silva ins Rathaus zurück. Er muss gespürt haben: Man kann Macht auch delegieren. Man muss nur die richtigen Mitarbeiter haben. Keine autoritätshörigen Subalternen, die es zu Tausenden in zentralamerikanischen Behörden gibt und die ohne Anweisung von oben nichts tun können und wollen. Silva wollte Menschen um sich herum mit eigenem Kopf und eigener Durchsetzungsfähigkeit. Der ehemalige Guerillakommandant Eduardo Linares war Silvas erster Glücksgriff. Ihn machte er zum Chef der Hauptstadtpolizei, einer bis dahin gefürchteten Einheit, die tief in die illegalen Geschäfte der Spielhöllenbesitzer und Drogenhändler verstrickt war. Linares räumte auf. Wer nicht spurte, wurde entlassen. Am Anfang war er der Buhmann. Doch als dann seine Einheit einen illegalen Puff nach dem anderen schloss, war er schnell der Liebling selbst rechter Medien.

Auch Linke hatten nichts gegen das harte Durchgreifen. Denn Linares ist kein moralischer Eiferer. Er hat stets Verständnis für die Prostituierten und nimmt sich nur die Zuhälter vor. Als die Hauptstadtpolizei nach monatenlangen Verhandlungen Straßenhändler aus dem Zentrum vertrieb, staunte das ganze Land. Niemals zuvor hatte es ein Bürgermeister gewagt, sich mit dieser Klientel anzulegen. Lieber wurde in Kauf genommen, dass das Zentrum einer Müllhalde glich.

Der neue Polizeipräsident räumte auf in der Stadt

Der informelle Handel in San Salvador wird von einer Mafia kontrolliert, die jedem Händler einen Standplatz auf öffentlichen Straßen zuweist und dafür Gebühren kassiert. Korrupte Beamte kassieren mit. Die von Bürgermeister Silva angebotenen und von der Gemeinde verwalteten Ausweichplätze interessierten die Mafia nicht. Denn sie bedeuteten Einnahmeverluste. Ohne Gummiknüppel und Tränengas ließ sich dieses Problem nicht lösen. Silva übernahm die volle Verantwortung für den Polizeieinsatz – und bekam Beifall. Die Plaza Morazan gleich hinter der Kathedrale, die vorher von fliegenden Händlern, Sektenpredigern und Taschendieben belagert war, ist heute so sauber, wie viele sich das ganze Zentrum wünschen.

Am Erscheinungsbild der Hauptstadt arbeitet im Hintergrund der Städteplaner Francisco Altschul, der auch ein neues Müllentsorgungskonzept entworfen hat. Darin sind – für Zentralamerika revolutionär – erste Ansätze von Mülltrennung enthalten. Für die Finanzpolitik San Salvadors ist Hector Dada verantwortlich, einer der angesehensten Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler des Landes. Er hat eine Reform der Gemeindesteuer entworfen, nach der Großbanken mehr Steuern bezahlen müssen als kleine Händler. Jahrzehntelang war es anders herum.

Altschul und Dada sitzen im Stadtrat, der in El Salvador nicht gewählt, sondern vom Bürgermeister ernannt wird. Keiner der beiden ist Mitglied der FMLN. Aber sie machen die Arbeit, die Silva dann als FMLN-Politik verkauft und vertritt. Das scheint reibungslos zu funktionieren. Silva beschreibt die Arbeitsteilung so: „Ich habe dem Stadtrat gesagt: In der Sitzung seid ihr die Chefs. Ich akzeptiere jede Mehrheitsentscheidung. Aber wenn die Sitzung aufgehoben ist, bestimme ich.“

Das ist Silvas Stärke: anderen Raum geben, zuhören, Konsens finden. Den setzt er durch und vertritt ihn nach außen.

Das ist ungewöhnlich für ein mittelamerikanisches Land. Die politische Rechte ist autoritär und daran gewöhnt, es mit Speichelleckern zu tun zu haben. Und die aus der Guerilla erwachsenen Linksparteien haben die Kommandostrukturen des Bürgerkriegs bis heute nicht überwunden.

Silva steht jenseits der militärischen Tradition. Er war während des Bürgerkriegs nicht in der Guerilla. Er gehörte zu ihrem politischen Umfeld. Und noch etwas unterscheidet ihn von anderen linken Führungsfiguren: Er ist nicht korrupt. Sicher: Während des jüngsten Wahlkampfs ließ er besonders viele Anzeigen und Fernsehspots schalten. Die Steuerzahler finanzierten so einen Großteil der Eigenwerbung des Bürgermeisters. Doch das ist in El Salvador so normal, dass ihn jeder für verrückt erklärt hätte, wenn er es nicht getan hätte. Persönliche Bereicherung aber kann man ihm nicht vorwerfen. Das hat unter Politikern Seltenheitswert.

Wer wie Hector Silva tatsächlich etwas tut und Ergebnisse vorweisen kann, wer auf andere hört und trotzdem einen eisernen Willen zur Macht hat, und wer zudem ein knuddeliger Typ ist, der wird schnell zum Hoffnungsträger der Linken.