Ernster als Leben und Tod

Nicht nur Bill Shanklys berühmter Satz über die Bedeutung des Fußballs ist in der Hall of Fame der englischen Premier League verewigt, sondern auch die Fans wurden diesmal nicht vergessen
aus London REINER LEINEN

Wer in der ersten Liga Fußball spielt, kann nicht mehr aufsteigen. Das war bislang in England auch nicht anders als anderswo. Jetzt allerdings gibt es noch die Etage darüber. Der Fußballhimmel heißt Hall of Fame, liegt am Londoner Themse-Ufer unweit der Westminster Bridge und ist das Denkmal, das sich die 1992 gegründete Premier League und der englische Fußball selbst gesetzt haben.

Aber anders als hierzulande, wo der Fan von den Großen der Branche stets aufs Neue seinen Status als lästiger wie entbehrlicher Wurmfortsatz vor Augen geführt bekommt, ist man bei der Konzeptionierung der Ausstellung nicht bei den Meriten und Heroen stehen geblieben, sondern hat sich unter der Federführung von Sir Geoff Hurst („without the fans there is nothing“) auch der Seiten des Fußballs besonnen, ohne die das Spiel nicht das wäre, was es ist.

Nicht dass die, die sich und den Ball auf dem Rasen bewegen, vergessen worden wären. Im Gegenteil. Zwölf von ihnen sind auserkoren worden, sich in bester Madame-Tussaud-Manier lebensgroß in Wachs modellieren und überdimensionalen Subuteo-Figuren gleich auf Halbkugeln aus Vollplastik montieren zu lassen. Inmitten des Zentrums der Ausstellung, der Hall of Fame, die auch dem Gesamtereignis ihren Namen gibt, stehen sie da und wollen bestaunt werden: Ruud Gullit, Eric Cantona, Tony Adams, Ian Rush, Mark Hughes und all die anderen. In ihrem Rücken eine Riesenvideoleinwand, von der uns Filmausschnitte aus ihrem Wirken und – wenig dezent – die Sponsoren der Ausstellung entgegenprangen.

Wie es den Zwölfen geht mit so viel Ruhm? Nun, aus dem Begleitkatalog (2,25 Pfund) sprechen sie zu uns, reden von Stolz und Unvergänglichkeit. Und außerdem können wir sie selbst zu diesem und anderem befragen. Zwischen den Wachsfiguren stehen ein paar Computerterminals, die per Knopfdruck den gerade eben eingefrorenen Konterfeis Leben einhauchen und ihnen Antworten auf Fragen entlocken, die zu stellen wir die Gelegenheit bisher nie hatten: Die erste Fußballerinnerung, der Traumverein der eigenen Jugendzeit, der Lieblingsspieler, das Stadion des Herzens, das heißeste Match der Laufbahn, die Pläne fürs Karriereende? So erfahren wir nun endlich, dass Arsenal-Keeper David Seaman Paul Gascoigne geradezu abgöttisch verehrt und dass sein Lieblingsclub immer schon Leeds United war.

Die Auswahl der zwölf Heroen wurde zur einen Hälfte von einer Jury aus Ligafunktionären, Journalisten, Managern und ehemaligen Spielern vorgenommen, für das zweite halbe Dutzend zeichnen die Fans verantwortlich. Aber mehr noch: Ein Teil der Ausstellung, die Hall of Fans, ist ihnen allein gewidmet. Fangesänge bilden den akustischen Hintergrund. Natürlich erklingt immer wieder das nimmermüde „You’ll never walk alone“, aber es sind auch andere Beispiele für die Sangeskunst und den Einfallsreichtum auf den Stadientribünen zu hören wie etwa „Ryan Giggs, we love you“ oder der Arsenal-Rap.

An raumhohen Stellwänden der Hall of Fans wird Spurensuche betrieben: Hier sind einige der Frontmen der Fanbewegung verewigt, ihrer schier grenzenlosen Treue wegen oder ihrer Skurrilität. Ein gewisser Kevin McCall wird darüber glücklich sein, dass sich eine spektakuläre Entscheidung seines Lebens hier wiederfindet: Er ließ seine eigene Hochzeit platzen, als er sich seiner anderen großen Liebe, Hereford United, besann. Auf halbem Wege zur Trauungszeremonie, vernehmen wir Kevin im O-Ton, sei ihm klar geworden, dass er doch lieber mit den Kumpels zum Spiel gehen wollte als die schicksalhaften nächsten Schritte mit seiner Nicola.

Bundesdeutsche Fußballheroen sind abgesehen von den zerknirschten jungen Männern mit den herunterhängenden Köpfen im unvermeidlichen, auf eine Großleinwand projizierten Film vom Wembley-Finale 1966 in der Ausstellung nicht zu sehen. Nur einer hat es geschafft, hier Platz zu finden. In der Hall of Fans ist Ebbie Kleinrensing aus Duisburg verewigt, der Wochenende für Wochenende auf die Insel jettet, um den Spielen von Nottingham Forest beizuwohnen.

Die Ausstellung bietet neben den „Hall of Famers“ und den „Football Fanatics“ noch anderes: Der Katastrophe von Hillsborough ist gedacht, die „Kick it out“-Kampagne gegen Rassismus in den Stadien dokumentiert, in der Hall of Legends finden sich viele alte Bekannte wie die „boys of 66“, die ausführlich porträtiert werden, und wir sehen all die Liam Bradys und Peter Shiltons wieder, die Dennis Laws und Kenny Dalglishs, die erste Radioreportage eines F.A.-Cup-Finales ist zu hören und einige der wunderbarsten Sätze sind zu lesen, die je über Fußball gesagt wurden. Wie der des legendären Bill Shankly, der im englischen Original noch einmal ein bisschen an Kraft zulegt: „Some people say, football is a matter of life and death. I can assure them, it is much more serious than that.“

Nun, es ist an alle und alles gedacht worden. Und an ein, zwei Stellen gar zu viel des Guten getan worden. Man betritt die Ausstellung durch den Tunnel einer Zeitmaschine und sieht sich mit der verstörenden Idee konfrontiert, die Geschichte des Fußballs als Auswuchs des Laborexperiments eines Professors Soundso dargeboten zu bekommen. Und man verlässt die Hall of Fame durch einen Raum, der als virtuelles Stadion mit Playstation-Animation Ohr und Auge quält.

Letztlich bleibt nur ein ganz kleiner Wermutstropfen, weil doch jemand vergessen wurde, der nicht fehlen sollte: Warum nur, frage ich mich nun schon seit Jahren, schaut alle Welt an einem vorbei, der in steter Regelmäßigkeit die schäbigen Straßen im Umkreis der White Hart Lane, der Hausadresse der Tottenham Hotspurs, mit seinem wunderbaren Zauber betört. Nein, nicht Steffen Freund, sondern David Ginola.

Der ist so gut, dass eine Wortneuschöpfung die englische Sportberichterstattung bereichert. Jüngst war im Daily Telegraph zu lesen, ein Verteidiger sei von seinem Gegenspieler düpiert worden. „He out-Ginola-ed him“, hieß es dort, was so viel bedeuten mag wie: „Er spielte ihn auf einem Bierdeckel schwindelig.“ Und so viel Platz wäre ja in der Hall of Fame wohl noch gewesen.

Hinweis:Es erklingt das nimmermüde „You’ll never walk alone“, aber auch „Ryan Giggs, we love you“ und Arsenal-Rap