„Der Ottmar sieht gut aus“

Interview ULRICH FUCHS und
CHRISTOPH KIESLICH

taz: Herr Hitzfeld, Sie haben Ihre Emotionen lange so in sich eingesperrt, dass Sie immer grauer wurden – erst seit Sie in München arbeiten, wirken Sie entspannt. Auch jetzt, in der Woche der Entscheidung, scheinen Sie fast locker.

Ottmar Hitzfeld: Im Moment weiß noch keiner, wie ich aussehe, wenn ich mal sechs Jahre in München arbeite.

Müssen wir uns Sorgen machen?

Nein. Die Situation ist doch ganz anders. Als ich nach Dortmund kam, hatte ich als Trainer noch keinen Namen. Wäre ich in Dortmund entlassen worden, hätte ich in der Bundesliga keine Chance mehr bekommen. Deshalb war der Druck bei der Borussia viel größer als in München, wo ich als Champions-League-Gewinner verpflichtet wurde.

Am angegriffensten wirkten Sie in Dortmund in der Zeit der größten Erfolge.

Ich habe jetzt viel mehr Erfahrung, lasse viel an mir abprallen. Ich habe mir einfach mehr Gelassenheit angeeignet.

Ausgerechnet bei Bayern München?

Ich habe dort ein kompetentes Präsidium vorgefunden, eine Mannschaft mit guten Einzelspielern. Das hat mir Sicherheit gegeben, obwohl man sich auch bei Bayern alles hart erarbeiten muss.

Und unter einem Druck steht, der nirgendwo in der Bundesliga größer ist.

Es war für mich eine riesige Herausforderung, es bei Bayern zu schaffen und unter dem Druck weiterzukommen, auch als Mensch. Bis jetzt ist das ganz gut gelungen. Aber ich weiß, dass ich in den nächsten Wochen erfolgreich sein muss, um in Ruhe weiterleben zu können.

Was heißt das für Sie: als Mensch weiterkommen?

Neue Erfahrungen sammeln. Das Ziel kann ja nicht nur sein, möglichst viele Titel zu erreichen. Man muss vor allem den Alltag meistern.

Aber keiner betont häufiger als Sie, dass man nur an Titeln gemessen wird.

In München kannst du nicht sagen, wir werden zwar nur Zweiter oder Dritter, aber wir haben wieder schön gespielt. In Freiburg ist das anders. Da musst du die Klasse halten und kannst guten Fußball spielen. Keine schlechte Kombination. Samstags spielen, sonntags trainieren, montags frei: herrlich.

Neidisch?

Nein. Ich habe das ja gehabt. Am Anfang in Dortmund und vorher in Aarau. Aber dann wollte ich Meister werden. Ich bin zu den Grasshoppers gegangen, zu den Bayern der Schweiz. Um schwierigere Aufgaben zu lösen, die eigenen Grenzen zu erfahren, um total gefordert zu werden.

Dann nach Dortmund, dann zum FC Bayern – sind Sie ein Getriebener Ihres Erfolges?

Ich versuche, das Optimum aus mir herauszuholen. Nur wenn ich alle Kraft investiere, bekomme ich auch etwas zurück.

Unlängst hat Ihnen Ihre Mannschaft viel zurückgegeben und beim 4:2-Sieg in Madrid ein Spiel für die Ewigkeit gespielt.

Wenn es das Finale gewesen wäre, könnten wir uns was dafür kaufen.

Sie sind manchmal so nüchtern.

Erfolgsbezogen. Vielleicht hat uns das Real-Spiel zu zufrieden gemacht. Das beschäftigt mich. Wir haben in Madrid viel für das Prestige der Bayern erreicht. Aber entscheidend ist der Erfolg am Ende der Saison. Noch sind wir in drei Wettbewerben im Rennen. Das ist eine beachtliche Leistung nach unserem Verletzungspech in der Hinrunde – und den verlorenen Endspielen im letzten Jahr.

Manchester lastet also doch als Trauma auf den Bayern?

Ich habe das immer zugegeben. Das ist doch menschlich. So ein bedeutendes Spiel in zwei Minuten zu verlieren, niemand konnte das begreifen.

Sie selbst haben den Sieg von Manchester als unmoralisch bezeichnet.

Es war einfach ...

... ja?

Ich will gar nicht mehr darüber sprechen. Es ist Vergangenheit.

Herr Hitzfeld, manchmal fragt man sich: Wann haben Sie eigentlich Freude an Ihrem Beruf?

Wenn ein Tor fällt. Wenn ich spüre, dass wir gewinnen. Das sind immer noch riesige Erlebnisse, die, glaube ich, nur wenige in ihrem Beruf haben.

Gewöhnt man sich nicht daran?

Ich nicht. Weil ich vor dem Spiel noch immer wahnsinnig angespannt bin. Und wenn ich das Gefühl habe, dass diese Spannung nicht hoch genug ist, versuche ich, Druck auf mich selber auszuüben. Damit ich noch konzentrierter bin.

Und am Tag nach dem Sieg überkommt Sie dann noch einmal eine stille Freude, vielleicht kurz bevor Sie zum Mittagsnickerchen eindösen ...

Ich mache keinen Mittagsschlaf. Ich kann gar nicht kurz schlafen, ich brauche meine Zeit zum Einschlafen.

Kommt die stille Freude vielleicht schon abends? In Madrid zum Beispiel, als Sie im Hotelbett auf den Schlaf gewartet haben?

Drei Tage später war ein Bundesligaspiel. Wie kann ich da aufstellen, wen lasse ich draußen – darüber denke ich in solchen Momenten nach.

Herr Hitzfeld, an Dortmund wollen Sie nicht zurückdenken, nicht an Manchester, noch nicht einmal an Real Madrid. Immer sagen Sie: Morgen, das nächste Spiel, die nächste Herausforderung – mit einer einzigen Ausnahme ...

... welche meinen Sie?

Ihre Heimat – die scheint in Ihrem Leben eine große Rolle zu spielen.

Das sind meine Wurzeln. Die werde ich behüten. Ich versuche alle sechs Wochen nach Lörrach zu fahren, um meine Familie zu besuchen. Eines Tages werde ich in die Gegend zurückkehren. Eigentlich wollte ich ja gar nie weg. Und immer, wenn ich weg war, hatte ich Heimweh. Aber es ist meine Lebensaufgabe, schwierige Situationen zu bewältigen.

Heimat ist für Sie also ...

... der Ort, an den ich einmal zurückkehre.

Und eine Zeit, an die Sie zurück denken?

Vielleicht fühlt man mehr zurück. Dann werden Erinnerungen wach, an die Kindheit, die Schule, die Geborgenheit. Ich habe eine sehr schöne Jugend gehabt.

War Sie nicht auch sehr streng?

Nein, meine Eltern waren großartig. Ich bin nie geschlagen worden, und Sie müssen wissen, damals sind fast alle noch geschlagen worden. Auch in der Schule.

Und dort haben Sie ...

... reichlich Schläge abbekommen. Weil ich immer zu Streichen aufgelegt war, Türen ausgehängt habe und so. Der Reiz war immer: Wird man erwischt oder nicht?

Vorsicht, Ihre Spieler lesen mit!

Wer die Kabinentür aushängt, kann seine Papiere holen.

Alles andere hätte uns überrascht.

Ich weiß doch, dass die Spieler Freiheiten brauchen. Ein Elber, ein Scholl, die sind immer zu einem Spaß aufgelegt, und das sollen sie – auch auf dem Platz. Aber weil der Trainer am Erfolg gemessen wird, ...

... geben Sie den unerbittlichen Chef.

Ich versuche, eine Mannschaft situativ zu führen, mal strenger, mal lockerer, mal antiautoritär – nein, antiautoritär nie. Das geht nicht.

Herr Hitzfeld, ist es eines der Dramen Ihres Berufs, dass Sie ein begeisterter Fußballfan sind aber in Wahrheit gar keiner mehr sein können?

Ein Trainer macht seinen Job, damit andere daran ihre Freude haben. Da sind wir wie Clowns, die für den Spaß der anderen sorgen und selber unter einem Druck stehen, von dem das Publikum gar keine Ahnung hat. Mein Freund Rolf Knie war Clown im Schweizer Staatszirkus und musste aufhören, weil er diese Anspannung nicht mehr ausgehalten hat. Er hatte einen Nervenzusammenbruch, ich habe es erst gar nicht glauben können.

Erschreckt Sie das nicht beim Blick auf die eigene Arbeit?

Als er es mir erzählt hat, hat es mir geholfen, besser mit meinem Druck zurechtzukommen, Abstand zu gewinnen. Damit es nie mehr wird, wie in Dortmund.

Jetzt fehlt nur noch der Beweis, dass Sie in München Misserfolg haben können und trotzdem resistent bleiben.

Wenn die Leute dann immer noch sagen: Der Ottmar sieht gut aus, besser als zu seinen Dortmunder Zeiten, das wäre das größte Kompliment. Auch in schwierigen Phasen mit dem Druck fertig zu werden und die Freude am Spiel nicht zu verlieren – das ist ein großes Ziel.

Zitate:Zu seiner südbadischen HeimatEigentlich wollte ich ja nie, aber immer, wenn ich weg war, hatte ich Heimweh.Zum Wesen des FußballtrainersWir sind wie Clowns. Wir stehen unter einem Druck, von dem niemand weiß.