Ein Kino der Armut

Schon ökonomisch gleicht jeder afrikanische Film einem Wunder: Das B-Movie zeigt vier von ihnen im Mai  ■ Von Max Annas

Wenn am Ende von Ousmane Sembènes letztem Film Guelwaar von 1992 die Nahrungsmittelhilfe aus Europa in den afrikanischen Staub geschüttet wird, dann hat das gar nichts Symbolisches mehr. Man kann dieses Werk des weisen alten Mannes aus dem Senegal lesen, wie man möchte, hier versagen alle Interpretationsversuche. Die Hilfe – und die Abhängigkeit von ihr – sind Dreck.

Was mit dieser antiimperialistischen Aktion endet, beginnt als Posse. Ein Katholik wird versehentlich nach muslimischem Ritus beerdigt. Dessen Familie will ihn exhumieren lassen, um die Sache nach ihrer Art zu beenden. Doch eine muslimische Familie beharrt auf dem Status Quo, da sie meint, einen ihrer Angehörigen bestattet zu haben.

Der Streit zwischen den beiden Familien ist der Vorwand für Sem-bène, eine Geschichte um Korruption im senegalesischen Alltag zu erzählen. Die Veruntreuung von Geldern spielt dabei eine große Rolle, aber auch die Verteilung der Hilfen aus dem Norden. Doch Sembène steuert zielstrebig seine Aussage an, die die wichtigste Forderung afrikanischer Intellektueller in den 90er Jahren gewesen ist. Afrika muss sich vereinigen, muss mit einer Stimme reden und sich um seine eigenen Interessen kümmern. Genau das geschieht, wenn am Ende die Leiche eine Nebensache bleibt und der Lastwagen mit den Säcken aus Europa gestoppt und geentert wird.

Das B-Movie zeigt im Mai drei Spielfilme aus dem Senegal und eine Dokumentation des französischen Fotografen und Dokumentaristen Raymond Depardon. Zusätzlich sind zwei Videoproduktionen im Programm, die in der Reihe „DienstagsDokumentation“ Mig-rationsgründe und Flüchtlingsrealitäten darstellen. Guelwaar entstand in der Hochzeit des afrikanischen Kinos, als es europäischen Fördergremien und TV-Anstalten kurzzeitig gefiel, die dortigen Filmproduktionen mit Geld zu unterstützen. Mittlerweile ist die Kinokultur des Kontinents wieder in absoluter Armut angekommen, so dass jeder Film der in Afrika entsteht, als ein Wunder gefeiert werden muss.

Wie TGV von Moussa Touré, ein Road-Movie, der stark an einen alten Western erinnert. Der klapprige Bus, der von der senegalesischen Hauptstadt Dakar in die guineische Kapitale Conakry unterwegs ist, funktioniert dramaturgisch wie die gute alte Postkutsche. Und die Gerüchte, eine marginalisierte Ethnie probte irgendwo nahe des Stre-ckenverlaufs gerade einen Aufstand, ist stark angelehnt an das Topos des Indianerstamms, der sich wieder einmal auf dem Kriegspfad befindet. In dem Bus trifft sich der Querschnitt der senegalesischen Gesellschaft, vom Bauern bis zu einem Minister: Selbst ein europäisches Paar fehlt nicht. Moussa Touré behandelt in der Komödie denn auch einen Durchschnitt der Alltagsprobleme des westafrikanischen Landes: allen voran Korruption, Ethnizität und europäische Arroganz.

Der dritte Film aus dem Senegal, der wegen seiner politischen Kontinuiät und seines relativen Wohlstandes zum wichtigsten Filmland des subsaharischen Afrika wurde, ist Mossane von Safi Faye, einer der ganz wenigen Filmemacherinnen, die seit vielen Jahren regelmäßig neue Arbeiten produzieren können. In ruhigen Tableaus, fast im Stil eines Märchenfilms erzählt sie die Geschichte der 14-jährigen Mossane und ihrer drohenden Zwangsheirat. Afrika: Was machen die Schmerzen ist ein Essayfilm von Depardon, der Afrika als Fotograf und Filmemacher schon oft besucht hat. Eine Reise vom Süden (Cape Town) bis zum Norden (Alexandria) nimmt er zum Anlass, Alltagsbilder zu suchen, die dem journalistischen Einerlei des Nordens widersprechen. Kennzeichnend für den Film sind die unendlich langsamen 360°-Schwenks, mit denen Depardon seine Ankunft an einem Ort filmisch einläutet.

TGV: Do, 4.5. + Sa, 6.5. + So, 7.5. Guelwar: Do, 11.5. + Sa, 13.5. + So, 14.5. Afrika - Was machen die Schmerzen: Do, 18.5. + Sa, 20.5. + So, 21.5. Mossane: Do, 25.5. + Sa, 27.5. + So 28.5.; jeweils 20.30 Uhr, B-Movie I prefer to see that again/Cry Freetown (Dienstags-Dokumentation: Di, 9.5. + Di, 23.5.; jeweils 21 Uhr, B-Movie