Anklage gegen Schill

■ Richter Gnadenlos wird Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung vorgeworfen

Ronald Schill muss sich seiner Sache sehr sicher gewesen sein. Er hat sich keinen Anwalt genommen, die Akten nicht gelesen und sich gegenüber der Staatsanwaltschaft auch nicht zu dem Vorwurf geäußert, als Strafrichter das Recht gebeugt und zwei Menschen der Freiheit beraubt zu haben. Nun muss er sich schleunigst um anwaltlichen Beistand bemühen: Die Generalstaatsanwaltschaft teilte gestern mit, dass sie gegen Schill Anklage erhoben hat. Laut Gerichtsprecherin Sabine Westphalen könnte ein Prozess vor dem Landgericht frühestens im August eröffnet werden.

Vorigen Mai hatte Schill während eines Nötigungs-Prozesses gegen einen Aktivisten des Stadtteilzentrums „Rote Flora“ zwei Zuschauer in Ordnungshaft nehmen lassen, weil die bei der Urteilsverkündung nicht ordnungsgemäß aufgestanden seien. Die Beschwerde hatte er nicht unverzüglich, sondern erst fast drei Tage später an das zuständige Oberlandesgericht weitergeleitet. Als dem die Unterlagen schließlich vorlagen, entließ er die beiden Inhaftierten sofort aus dem Gefängnis.

Anklage erhebt die Staatsanwaltschaft laut Sprecher Rüdiger Bagger, wenn „sie der Auffassung ist, dass eine Verurteilung hinreichend wahrscheinlich ist“. Rechtsbeugung ist mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bestraft und gilt damit nicht nur als Vergehen, sondern als Verbrechen.

Der Anwalt eines der damals Inhaftierten, Andreas Beuth, hatte parallel zu strafrechtlichen Konsequenzen auch disziplinarrechtliche Schritte gegen Schill verlangt. Da nun auch die Staatsanwaltschaft davon ausgehe, dass Schill ein Verbrechen begangen habe, fordert er dessen sofortige Suspendierung: „Auch das Richteramt ist kein rechtsfreier Raum.“

Dass ein Richter vor den Kadi muss, ist ein nahezu einzigartiger Fall. Deshalb haben die Ermittler die Akten den Chefanklägern der Generalstaatsanwaltschaft vorgelegt und das Verfahren gegen den 41-jährigen „Richter Gnadenlos“ dort absegnen lassen. Elke Spanner