Die Methode Offener Raum

Einmal im Monat treffen sich in Berlin unabhängige Filmschaffende, um miteinander abzuhängen. Am Ende der „UFO“-Sitzungen stehen gute Ideen für noch bessere Projekte

von DANIEL BOESE

Egal ob Seminararbeit, Werbekampagne oder Drehbuch: Die besten Ideen entstehen meistens dann, wenn man nicht hart daran arbeitet, also in der Kaffeepause, beim Plausch auf dem Bürogang, in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit. Findige Managementberater in den USA haben daraus gleich eine ganze Organisationsmethode gemacht und sie „Open Space Method“ genannt: eine einzige lange Kaffeepause voller Einfälle sozusagen, deren Vermarktung via Ratgeber und Seminare zumindest die findigen Managementberater gut ernährt.

Nach dem gleichen Prinzip treffen sich unabhängige Filmschaffende in Berlin einmal im Monat unter dem Namen „UFO“ zu einem Filmstammtisch: In lockerer Runde sitzt man dort zusammen, eine Tagesordnung gibt es nicht. Prinzipiell darf jeder mitmachen, egal ob Laie oder Vollprofi. Den gemeinsamen Nenner bilden die Leidenschaft für Filme und der Wille, welche zu machen. Dieser soziale Raum morpht dann von einer Ideenbörse für Projekte zur Spielwiese für routinierte Filmer bis zur Mini-Filmschule für Anfänger.

Beim ersten Treffen waren’s 25 Filmbegeisterte

„UFO ist das, was jeder daraus macht“ erklärt Eoin Moore, einer der Gründer. Das Label „UFO“ könnte zwar bedeutungsvoll für so etwas wie „Unabhängige Film-Objekte“ stehen, ist aber nur ein Schlagwort, das beim ersten Treffen von 25 Filmbegeisterten im April 98 am Ende des Abends im Raum stand. Inzwischen gehören über 100 Regisseure, Schauspieler, Drehbuchautoren, Kameraleute und Filmstudenten dem informellen Netzwerk an. Zu jedem Treffen kommen 30 bis 50 Interessierte, darunter auch Leute wie Detlev Buck oder Stefan Arndt von X-Filme.

Die Idee zu einem regelmäßigen, offenen Treffen entstand nach der Produktion des dffb-Abschlussfilms von Eoin Moore, „plus minus null“, der zur Zeit im Kino läuft. Dem Regisseur ging es darum „Spaß zu haben, an Ideen herumzuspinnen und eine Art kollektives Brainstorming herbeizuführen“ und so die familiäre Arbeitsatmosphäre, die beim Dreh im kleinen Team herrschte, weiterzuführen. Zu guter Letzt ging es ihm dann auch darum, dass dabei gefundene Ideen umgesetzt werden können.

„plus minus null“ funktioniert als modellhafte Erfolgsgeschichte, die zeigt, dass Dinge gehen, die kein professioneller Produzent je unterstützt oder finanziert hätte: mit einem kleinen Team und nur 60.000 Mark einen kompletten Spielfilm auf Digital-Video zu drehen. Und das ohne das übliche Drehbuch, sondern lediglich mit einem dreiseitigem Treatment und den Geschichten, die aus sechs Wochen Proben und Improvisation mit den Schauspielern entstanden.

Konstant nicht weniger als stolze 400.000 Kinobesucher pro Woche wollen zur Zeit die angenehm hypefreie Berliner Baustellengeschichte sehen. Der gleiche Geist aus Unabhängigkeit und Arbeitslust zeigt sich auch, wenn Eoin Moore bei UFO immer wieder Sätze sagt, wie: „Irgendjemand sagt meistens: Lass’ uns doch am Wochenende einen Kurzfilm machen!“

In der Tat wurde viel gemacht. Zu Beginn führte man eine Menge Workshops über Method-Acting, Ton- und Kameratechnik oder Filmproduktion durch, und später entstanden dann eine Schauspielergruppe mit Kartei und eine Drehbuchgruppe, die sich einmal wöchentlich trifft, um gemeinsam an Drehbüchern zu arbeiten. Dabei wurden sowohl die klassischen „how to write a script“-Handbücher vorgestellt und durchgearbeitet, als auch über „Das Drehbuchrelevante in Hegel“ referiert. Das Lied „Fifty ways to leave your lover“ schließlich inspirierte eine Serie von 10 Drehbüchern über das Verlassen und Verlassenwerden, die alle verfilmt wurden.

Möglich wurde diese Menge an Output nicht zuletzt durch die Technikrevolution Digital-Video, die es erlaubt, mit extrem wenig Material, einem flexiblem Team und vor allem billig zu drehen: Ein abendfüllender Digitalfilm zum Preis einer Spielfilmminute. Dazu kamen noch die Qualitäten eines Netzwerks, das als lebendes Lexikon arbeitet und Erfahrungen austauscht, Arbeitsplätze vermittelt und auch mal Technik ausleiht. Auf diese Weise wurden fast 30 zwar nicht perfekte, aber spannende Kurzfilme gedreht, deren Gesamtvorführung bei einer UFO-Party im Frühjahr dieses Jahres vier Stunden dauerte. In einer gekürzten Fassung sollen sie jetzt als die „UFO-Kurzfilmrolle“ einen Verleiher finden und in die Kinos kommen.

Soweit die harten Fakten. Genauso wichtig sind aber die Stichworte zur Gruppenidentität, die jedesmal fallen, wenn einer der Beteiligten über UFO spricht: „Idealismus“, „sein Ding machen“, „etwas lernen wollen“ und „Mut“, was nach emotionalen Synergieeffekten klingt.

Die Gefahr, immer nur als Typ gecastet zu werden

Heike Schober, Organisatorin der Kurzfilm-Party, beschreibt die UFO-Geisteshaltung so: „Auf der Suche sein und bleiben wollen“. Für sie als Schauspielerin heißt das konkret, länger mit einem Regisseur zusammenzuarbeiten, dabei mehr in die Arbeit integriert zu werden und der Gefahr, immer nur als Typ gecastet zu werden, auszuweichen. Erzählkonventionen durchbrechen, Geschichten anders zeigen, das möchte auch Eoin Moore unterstützen. „Die meisten Produktionen haben Angst, Figuren in wirkliche Gefahr zu stellen. Selbst wer am Boden zerstört ist, Ehe kaputt und alles, hat im deutschen Film noch immer eine schöne Wohnung.“

Es kommen also einige UFO-Produktionen auf uns Kinobesucher zu, beispielsweise ein Roadmovie des Cutters Dirk Grau: „Ohne das Netzwerk hätte ich den Mut, mit Minimalbudget unterwegs von Berlin nach Südfrankreich zu drehen, nicht gehabt.“

Die Begeisterung des Teams war jedenfalls ansteckend. Überall erhielt es schnellstens Drehgenehmigungen, und es fanden sich Komparsen vor Ort. Eine französische Tankstelle erklärte sich sogar bereit, drei Stunden zu schließen, damit eine Szene über einen leeren Tank und eine überzogene EC-Karte ordentlich gedreht werden konnte.

UFO: Netzwerk unabhängiger Filmschaffender. Jeden ersten Mittwoch im Monat, Theaterschiff TAU, Planufer 77