Peterchens Floßfahrt

Wenn die Gentechnik das neue Jahrhundert bestimmt, dann wollen wir alle Gentechniker sein: Peter Sloterdijk, Michel Houellebecq und Alain Finkielkraut diskutierten in Karlsruhe die Konstruktion des Humanen. Missverständnisse gab es und ein klein wenig Kritik auch

von VOLKER WEIDERMANN

„Was mich wundert“, erklärte der französische Schriftsteller Michel Houellebecq am Mittwochabend in Karlsruhe, „ist, dass hier niemand zu registrieren scheint, dass wir das Jahr 2000 schreiben.“ Das sei doch eine klare Zäsur. Eine neue gemeinsame Geschichte beginne. Und das sei gut so, „denn die letzte hat mir nicht so gut gefallen“. „Die letzte Geschichte“, die beginnt für Houellebecq ganz am Anfang. Mit der biblischen Genesis. Als Karlsruhes Kulturreferent Michael Heck zu Beginn der Diskussion brav die Schöpfungsgeschichte verliest, lächelt der Autor milde. Warum er lächle? „Diese Selbstzufriedenheit Gottes ist doch lustig.“ Er jedenfalls wundere sich, wie dieser schräge Gedanke des „Alles ist gut“ überhaupt aufkommen konnte. Denn: Das Gute kommt erst noch. Und: Es ist nicht mehr fern.

Das Gute ist „der neue Mensch“, der gentechnisch perfektionierte und massenhaft als Klon reproduzierbare Mensch. Dass dieser in der Tat bald kommen wird, darüber waren sich die drei Herren, die unter der Leitung des Medientheoretikers Peter Weibel an diesem Abend im Karlsruher Zentrum für Kunst- und Medientechnologie diskutierten, erstaunlich einig. Nur in ihrer Begeisterung konnten die Philosophen Peter Sloterdijk und Alain Finkielkraut nicht sofort mit Houellebecq mithalten. „Ich gehöre zu denen, die Angst haben und das Klonen verbieten lassen wollen“, sagte Finkielkraut. Und Sloterdijk gab immerhin zu, dass der „moralische Infantilismus der Menschheit“ ein grundsätzliches Misstrauen verlange.

Wer aber darauf gehofft hatte, Sloterdijk würde an diesem Abend die angeblichen Missverständnisse und bösartigen Fehllektüren, die seiner Elmauer Rede „Regeln für den Menschenpark“ gefolgt waren, klarstellen, die im vergangenen Jahr einen so ungeheuren Wirbel ausgelöst hatten, sah sich enttäuscht. Lediglich der Hinweis, dass wir uns die hysterischen Gesprächsformen der Vergangenheit angesichts der Größe der Probleme nicht leisten könnten, war ihm zu entlocken. War das Selbstkritik? Oder wer hatte da hysterische Gesprächsformen benutzt, als Sloterdijk angesichts seiner Kritiker und einem angeblich im Hintergrund intrigierendem Habermas gleich den Tod der „Kritischen Theorie“ erklärt hatte? Und jetzt in der Kulturzeitschrift Lettre Habermas’ Intervention plötzlich die „schlichten Rechte eines Verlagskollegen“ genannt hat?

Ja, ein Missverständnis. Es war in der Tat wahrscheinlich nur ein großes Missverständnis. Als er von der Möglichkeit sprach, dass „die Menschheit gattungsweit eine Umstellung vom Geburtenfatalismus zur optionalen Geburt und zur pränatalen Selektion wird vollziehen können“, da hatte er davor warnen wollen, nicht es gutheißen. Als er dieselbe Stelle zwei Jahre zuvor in Basel von einem Schauspieler hatte vortragen lassen, „lachte das Publikum anhaltend an dieser Stelle“, erklärte er in Lettre. Und auch an diesem Abend in Karlsruhe gab es für das Publikum bei Sloterdijks Redebeiträgen einiges zu lachen, manches zu rätseln und wenig zu erfahren. Denn Peter Sloterdijk ist ein blumiger Schwadroneur, eine philosophische Plaudertasche, ein Luftdenker, der scheinbar leichtfüßig von Begriffswolke zu Begriffswolke springt und dabei jedes Mal in einem Nebelmeer versinkt. Er widerspricht sich häufig, stellt Fragen, wo der Zuhörer Meinungen erwartet, und wenn man versucht, ihn festzulegen, heißt es: Ja, da habe ich doch Plato sprechen lassen. Oder er erklärt die eigenen Gedanken schlicht für „Humorismus“.

So beruht also die einzige große Debatte, die in den deutschen Feuilletons über die Zukunft der Gentechnik geführt wurde, auf einem Missverständnis. Aber vielleicht war auch nur mit einer so unpräzisen Rede dieses Maß an Empörung und Begeisterung zu erreichen. Und deshalb muss man Peter Sloterdijk wohl dankbar sein. Denn sonst wäre die große Frage des anbrechenden neuen Jahrhunderts, ob die Naturwissenschaften den Gesellschaftswissenschaften bei dem Projekt „Neuer Mensch“ endgültig den Rang ablaufen, kaum in dieser Breite debattiert worden. Folgt auf die Ideologien die Biologie? Was bleibt für die Philosophen noch zu tun? Hat ihr Denken noch Relevanz?

Peter Sloterdijk vertritt da einen ungebrochen selbstbewussten Standpunkt: „Die konstitutive Paranoia gegenüber dem Weltgeist,“ so war zu hören, „hat die Philosophie ermöglicht und gleichzeitig einen Denkprozess ausgelöst, der uns in der gegenwärtigen Weltminute den Zugang zu einer neuen Ebene von Elementarität, von ontologisch verbindlicher Buchstäblichkeit erlaubt.“ Will heißen, die Philosophie ist immerhin ein Brüderchen desjenigen Denkens (der Biotechnologie), das in diesen Tagen die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms bekannt gegeben hat.

Alle Elemente wird man nun also bald auf dem Tisch haben. Und „Elemente“, heißt das nicht ursprünglich „Buchstaben“? Und wenn wir alle Buchstaben kennen, können wir Texte schreiben. Und mit Texten, da kennen wir uns aus: „In dem Moment, in dem man bei authentischen Buchstaben angekommen ist, kann man plötzlich den Text ändern.“ Der Text ist der Mensch. Und bei der Veränderung sollten die Philosophen unbedingt gefragt werden.

Sloterdijk beschreibt zwar das Dilemma, dass die Menschen „angesichts ihres Könnens zum Vertrauen“ und „angesichts ihres Wissens zum Misstrauen verdammt“ sind, doch im Zweifelsfall scheint Sloterdijk eher dem Vertrauen zuzuneigen: „Solange die Moderne die Moderne ist, werden sich die Menschen nicht davon abbringen lassen, die Optimierung weiterzuführen in einem Prozess, der nach oben offen ist.“ Ist das bloß Resignation? Keineswegs: Denn es gebe wohl Menschen, die diesen „applausfähigen Prozess“ aufhalten wollen, doch sei das „keineswegs wünschenswert“.

Da war Alain Finkielkraut ganz anderer Meinung. Er hatte an diesem Abend die Rolle des Melancholikers zu geben. Ja, ja, er kenne ja die Begeisterungen der Gegenseite: Gehen wir doch aufs Schiff hinaus! Du hast doch nur kleinbürgerlichen Schiss! Die Menschheit ist Metamorphose, nicht Natur! Ja, ja. Er fühle sich auch nicht wohl in der Rolle des Grenzziehers. Er als Kind der Aufklärung und des Fortschrittsglaubens sei dafür gar nicht geeignet. Aber die Grenze muss gezogen werden. Obwohl er wisse, dass es zwecklos sei: „Das kommt ja doch.“ Und es würden sich natürlich auch genügend Philosophen finden, die das akklamierten.

Michel Houellebecq ist zwar kein Philosoph. Aber bei dem Akklamieren, da wäre er gleich dabei. Der sonst aus tiefstem Herzen unglücklich wirkende Schriftsteller war an diesem Abend verblüffend gut gelaunt. Es freute ihn merklich, neben diesen so genannten Meisterdenkern, in einem überfüllten Saal des Medienzentrums noch einmal zu erläutern, dass die Thesen seines Romans „Elementarteilchen“ durchaus ernst zu nehmen seien: Ja, man könne eine neue Spezies schaffen, einen neuen Menschen. Das Klonen kommt, das ist ganz klar: Erstens weil die größte Antriebskraft des Menschen die Angst vor dem Tode sei. Nur um diese Angst zu bannen, reproduziere er sich und habe er sich Götter erfunden. Das Klonen perfektioniere dieses Bannen der Angst. Und zweitens weil, wie alles, der Markt entscheiden wird. Und der Markt wird sich dafür entscheiden: „Jeder wird à la carte bestellen, was er mag.“ Und Houellebecq, der an diesem Abend wieder sein blassblaues Polohemd trägt, grinst, versteckt den Mund dann hinter einer Hand und sieht Peter Slotedijk erwartungsfroh an. Der rückt ein wenig ab und sagt mit leicht gerötetem Gesicht: „Ich kann jetzt nicht direkt darauf antworten.“

Muss er ja auch nicht. Muss er nicht. Er hat sich da in eine Enge drängen lassen, die von Houellebecq vielleicht ja auch nur konstruiert wurde, um den Herrn mit der Bardenfrisur und dem Seehundbart ein wenig zu verunsichern. Immerhin hat ja J. Craig Venter, der selbstbewusste Verkünder der Nachricht, dass Ende des Jahres das menschliche Genom vollständig entziffert vorliegen wird, in einem Interview in der FAZ schon erklärt, dass es „mehrere hundert Jahre“ dauern wird, bis man den genetischen Code auch verstehen wird, und dass „während des nächsten Jahrtausends unser Wissen nicht ausreichen wird, menschliche Gene sinnvoll zu verändern.“

Doch man weiß nicht, ob morgen schon von anderen Erkenntnissen die Rede sein wird. Peter Sloterdijk erklärt uns: „Die Erkenntnis spielt sich immer auf eine Art und Weise ab, dass man sie am besten vergleichen könnte mit dem Projekt auf hoher See, wo man erst das Floß bauen sollte, mit dem man diese See befahren möchte.“

Wir sehen ihn schon winken, auf seinem kleinen Floß, den Herrn Sloterdijk. Michel Houellebecq steht am Ufer und winkt zart lächelnd zurück, und Alain Finkielkraut wendet sich mürrisch ab. Gute Fahrt, Peter!

Hinweise:Die Selbstzufriedenheit Gottes findet Houellebecq lustig. Das Gute kommt doch erst noch! Es ist gar nicht fern!Wenn man die Buchstaben kennt, kann man den Text ändern. Gene sind Buchstaben, der Text ist der Mensch