Gegner werden zu Partnern

Gewerkschaften und AKW-Gegner standen sich unversöhnlich gegenüber. Streitpunkt war, ob der Atomausstieg Arbeitsplätze gefährdet. Jetzt bewegen sich die Kontrahenten aufeinander zu

von WOLFGANG EHMKE

Ein Novum steht bevor: Gewerkschafter, Umweltverbände und Anti-AKW-Initiativen werden am 6. und 7. Mai in Hannover auf einem gemeinsamen Kongress („Der große Radschlag“) über die Perspektiven des Atomausstiegs debattieren. Dieses Bündnis zwischen Gewerkschaften und Atomkraftgegnern ist ungewöhnlich. Noch auf dem Grünen-Parteitag in Bielefeld stand man sich unversöhnlich gegenüber: Vor der Tagungshalle skandierten aufgebrachte AKW-Angestellte, die bei einem Atomaussteig um ihre Arbeitsplätze fürchteten. Mühevoll mussten sich die Delegierten den Weg durch die wütende Menge bahnen.

Und in der Tat: Der Atomausstieg würde Arbeitsplätze kosten. 150.000 Stellen seien bedroht, rechnete im vergangenen Jahr Professor Wolfgang Pfaffenberger vor, der das Bremer Energie-Institut leitet. Ein Totschlagargument. Denn jedem ist klar, dass die SPD gegen massive Proteste aus den Gewerkschaften nicht immun ist. Allerdings wurden zwei Aspekte in der dann folgenden Diskussion kaum beachtet: Weder wurde der zugrunde gelegte Zeithorizont berücksichtigt noch der analytische Ansatz Pfaffenbergers. Der Bremer Energieexperte betrachtete nämlich die volkswirtschaftliche Seite des Atomausstiegs – und nicht etwa die betriebswirtschaftliche der einzelnen AKWs. Er sah sich die Auswirkungen eines Meiler-Sterbens also auch für die Zulieferer an, für die Reperaturbetriebe – ja selbst für die Werkskantinen. Und dies während der nächsten 30 Jahre!

Betrachtet man jedoch nur die Beschäftigten, die unmittelbar in der deutschen Nuklearindustrie arbeiten, so sind es weitaus weniger. Selbst wenn man großzügig die Stellen in Forschungseinrichtungen und Genehmigungsbehörden hinzurechnet, summiert sich die Zahl in den atomaren Anlagen auf lediglich 20.000 Beschäftigte – wie eine Recherche von Susanne Ochse, grüne Mitarbeiterin im Bundestag, ergab. Die IG Metall ist etwas großzügiger und kommt auf maximal 30.000 Arbeitsplätze. Allerdings würden auch diese Beschäftigten durch einen Atomausstieg nicht schlagartig arbeitslos. Denn selbst bei einem Sofortausstieg sorgt der Rückbau der Atomanlagen bzw. die nukleare Entsorgung noch Jahrzehnte lang für Arbeit.

Doch waren es gar nicht diese Berechnungen und Debatten, die dazu führten, dass Gewerkschaften und Umweltgruppen neuerdings beim Atomausstieg zusammenarbeiten. Es ist die mittelbare Konsequenz einer anderen Entwicklung: der Liberalisierung des Strommarktes und ihrer Folgen für die Beschäftigten. So werden nach der Fusion der beiden Mischkonzerne Veba und Viag 12.000 Arbeitsplätze entfallen. Das bezeichnet einen Trend. Die Rationalisierungswellen in den Energieunternehmen haben nach Angaben der IG Metall in den letzten Jahren bereits 40.000 Arbeitsplätze gefordert. Und dies wird nicht das Ende sein. Die ÖTV sieht weitere 40.000 Arbeitsplätze bedroht.

Denn die Liberalisierung des europäischen Strommarktes führt zu einem gnadenlosen Preiskrieg, der vor allem die Existenz der kleinen Stadtwerke gefährdet. Darüber hinaus werden alle Ansätze zur Förderung der regenerativen Energiequellen konterkariert. Stattdessen werden sich drei oder vier große Anbieter herauskristallisieren. Sie können die Konkurrenz ausschalten dank ihrer Ersparnisse aus der gebietsmonopolistischen Vergangenheit (dazu gehören zum Beispiel die Rücklagen von 70 Milliarden Mark für die nukleare Entsorgung) und mit Hilfe von Mautgebühren für die Stromdurchleitung. Wenn diesem „freien Spiel der Kräfte“ nicht bald entgegengesteuert wird, bleiben Arbeitsplätze und Umweltstandards in einem weitaus krasseren Ausmaß auf der Strecke als durch einen eventuellen Atomausstieg. Diese Erkenntnis führt AKW-Gegner und Gewerkschaften nun zusammen.

Nur eine Energiewende kann Arbeitsplätze schaffen. Als grobe Faustregel gilt, dass jede Kilowattstunde „grüner Strom“ zehnmal mehr Beschäftigung schafft als die „konventionelle“ Stromerzeugung. Nur vage Abschätzungen gibt es bislang für den Baubereich. Doch auch wenn die beschäftigungspolitischen Auswirkungen der Wärmedämmung, der Gebäudeisolierung und der Niedrigenergiehäuser nicht genau bekannt sind: Unbestritten ist, dass sie Arbeitsplätze nach sich ziehen. Es verwundert daher nicht, dass die IG BAU die treibende Gewerkschaft bei der Ausrichtung des Kongresses in Hannover ist.

So verbinden sich arbeitsmarktpolitische und ökologische Argumente. Schon lange ist bekannt, dass die Bundesregierung ihr Klimaziel, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent zu reduzieren, nur dann erfüllen kann, wenn die beschäftigungsintensiveren Stadtwerke (und damit die Kraft-Wärme-Koppelung) überleben. Ein Lichtblick ist immerhin das „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ (EEG), das der Bundestag am 25. Februar mit den Stimmen von SPD, Grünen und PDS beschlossen hat. Damit wird die Einspeisevergütung für die Windkraft, aber auch für Biomasse, Solarenergie, Wasserkraft und Erdwärme neu geregelt. Ziel ist es, den Anteil der „Regenerativen“ als Energieträger bis zum Jahr 2010 mindestens zu verdoppeln – von jetzt knapp 6 auf dann 12 Prozent.

Ein Lichtblick, aber auch leider nicht mehr. Denn solange weiterhin in jedem Jahr 6,4 Milliarden Mark für die Subventionierung der deutschen Steinkohle ausgegeben werden, ohne dass in gleicher Höhe ein Energiewendefonds geschaffen wird, bleiben wir von einem Richtungswechsel weit entfernt. Offen ist auch, ob die ökologische, aber relativ teure Kraft-Wärme-Koppelung eine verlässliche Zukunft hat. Denn der Kostenausgleich im EEG ist befristet. Zudem wird zu Dumpingpreisen Strom aus dem Ausland aufgekauft. So hat das Bayernwerk gerade mit dem russischen Energieversorger RAO EES einen Stromliefervertrag über 600 Megawatt abgeschlossen – zum Billigbezugspreis von 1,8 bis 2,5 Pfennig pro Kilowattstunde. Einen weiteren aggressiven „Player“ stellt der französische Konzern EDF dar, der dank dauerhafter staatlicher Subventionen zum Atomstrom-Billiganbieter wurde.

Alle energiepolitischen Umstiegskonzepte scheitern bislang an der geballten ökonomischen Macht der Stromkonzerne. Sie beruht ganz wesentlich auf dem „Billigstrom“ aus den Atomkraftwerken. Umwelt- und beschäftigungspolitisch kann diese Zementierung des Status quo nicht länger hingenommen werden. Dass der Einstieg in beschäftigungsintensive Energieformen aber nur über den Atomausstieg gelingen kann – dies beginnen jetzt auch die Gewerkschaften einzusehen. Macht braucht Gegenmacht – und die Konsensstrategie von Rot-Grün braucht Gegendruck. Wir sind gespannt auf den Kongress.

Der Kongress findet statt am 6. und 7. Mai, gelbes Uni-Gebäude der ehemaligen Conti, Hörsaalgebäude VII, Königsworther Platz 1 in Hannover. Nähere Informationen sind unter (0 51 76) 9 20 00 42 bei Dr. Michaela Sohn zu erfragen. Im Internet unter: www. forum-nro.de .

Hinweise:Die Liberalisierung des Energiemarktes hat schon 40.000 Arbeitsplätze gekostetGrüner Strom schafft zehnmal mehr Arbeitsplätze als konventioneller