Der Auswanderer

Ein Mann sitzt in abgetragenem Anzug auf einem schäbigen Schiffskoffer. Er wartet auf seine Einreiseerlaubnis für die Vereinigten Staaten von Amerika. Er erinnert sich an seinen Aufbruch in Deutschland „mit 'nem Krug voll Rum, damit ich auf See nicht sterben tu“, und an die wochenlange Überfahrt, auf der es vorkam, dass „sich der Apotheker mit ganz großartiger Gewalt selber ins Gesicht brach, indem er sich gegen den Wind stellte“.

Eine von vielen Geschichten wie sie deutsche Auswanderer im 19. Jahrhundert erlebten. Oliver Hermann leiht den fast vergessenen Exilanten seine Stimme, gibt ihnen szenisch auf der Bühne Gestalt. „Als ich mich mit der Materie beschäftigte, zog sie mich bald total in ihren Bann. Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass Deutschland damals – in absoluten Zahlen – das Auswanderungsland Nummer Eins war. Mit sechs Millionen Menschen noch vor dem viel beschworenen Irland. Und heute? Da ist das Land in umgekehrte Richtung dicht!“

„Hier braucht keiner vor dem anderen den Hut zu quetschen, wie man das in Deutschland tun muss“, schwärmt ein Neuamerikaner mit distanziertem Blick auf die alte Heimat. Die politischen Verhältnisse in den Kleinstaaten und die Repressalien im Zuge der Restauration saßen den Emigranten im Genick. Wie genossen sie da die aufstrebende Demokratie jenseits des großen Teiches. Dafür warteten hier andere Widrigkeiten. „Die Läuse hier waren solche, von denen sechs Stück einen Hammel festhalten.“

Ausgehend von dem Lebensbericht des mecklenburgischen Tagelöhnersohns Jürnjakob Swehn, den Reisetagebüchern Friedrich Gerstäckers und den Briefen deutscher Amerikaauswanderer des 19. Jahrhunderts erzählt Oliver Hermann in dreierlei Gestalt etwas über den Sinn und Unsinn der Auswanderung. Man erfährt von den alltäglichen Sorgen und Freuden beim Aufbau der neuen Existenz und dem ungebrochenen Interesse an politischen Begebenheiten in der alten Heimat. Und er singt einige betagte Auswandererlieder wie „Zwei Brüder wollen wandern, wohl nach Amerika“.

Mit seinem Soloprogramm Der Auswanderer ist Oliver Hermann seit August 98 selber auf der Reise. Von der Titanic-Ausstellung über die Nordfriesischen Inseln bis zur Passage über den Atlantik auf der „Queen Elisabeth II“ reichen die Stationen. Diesmal geht er nun in Altona vor Anker, in einer Umgebung die sich mit ihrem Charakter hierfür geradezu aufdrängt: in den öden Hallen des früheren Güterbahnhofs.

Oliver Törner

Sa, 6. Mai, und So, 7. Mai, je 20 Uhr. Theater N.N., Kulturbahnhof. Harkortstr. 81, Info unter Tel.: 39 61 66 88