Ökostrom frisch aus der Dose

Allein über die Macht der Atomlobby zu jammern, nutzt nichts. Einmischen kann sich jeder. Das Solarzeitalter lässt sich ohne weiteres in die Praxis umsetzen. Dazu braucht man nur ein sonniges Dach und etwas innere Schubkraft

Was wäre das für ein Programm: Kurz vor der Tagesschau zur besten Sendezeit, die halbe Nation wartet wie immer auf die News aus aller Welt. Vorher ein Werbespot, nicht für irgendeine x-beliebige Biermarke, nein, da klettert ein Monteur auf ein Dach, schraubt wie ein Verrückter, die Sonne brennt auf die Ziegel und zum guten Schluss heißt es etwa: „Mit Solarzellen aus dem Ruhrpott wird der Atomausstieg zum Privatvergnügen.“ So einfach könnte die Energiewende sein.

Doch die Realität sieht anders aus. Rot-Grün schlägt sich herum mit RWE, VEW, Bayernwerk, HEW und PreussenElektra. Ergebnis: Restlaufzeiten ohne Ende. Und wenn (k)ein Ende absehbar ist, bleibt die Frage, ob in den nächsten Jahren nicht doch wieder unter anderen politischen Konstellationen eine „unumkehrbare“ Kurskorrektur vorgenommen wird. Was liegt also näher, als die Energiewende selbst in die Hand zu nehmen. Die Voraussetzungen dafür sind gar nicht mal so schlecht. Die Technik ist da, Sonne und Wind schicken keine Rechnung – also warum nicht direkt mit dem Umbau der heimischen Energieversorgung anfangen?

Wasserkraft und Biomasse kommen für die in Städten lebenden Deutschen nicht in Frage. Bei der Sonnenkraft sieht die Sache anders aus. Ein Dach mit halbwegs optimaler Neigung und Südausrichtung kann ein solides Fundament für die hausgemachte Strom-, aber auch Warmwasserversorgung sein. Ein sparsamer Vierpersonenhaushalt kommt schon mit einer 3-Kilowatt-Anlage zurecht. Billig ist die Sache aber trotz des 100.000-Dächer-Programms nicht. Etwa 45.000 Mark muss der Solarfan zurzeit noch in das eigene Ökokraftwerk investieren. Wenn von 38 Millionen Haushalten in den nächsten zwei Jahren nur jeder dritte auf die Kraft der Sonne setzte, würde rein rechnerisch zwar immer noch nicht die Leistung eines Atom-Oldies wie Obrigheim oder Stade ersetzt werden können. Doch politisch wäre die Republik nicht wieder zu erkennen. Deutschland im kollektiven Solarrausch: Dachdecker, Heizungs- und Sanitärhandwerker, Shell und BP allein könnten die Nachfrage wahrscheinlich gar nicht decken. Bundesumweltminister Jürgen Trittin müsste die „Green Card“ für Solarteure aus dem sonnigen Ausland fordern.

Ob die schöne neue Energiewelt kommt, hängt letztlich von gewissen Trägheitsmomenten ab: der Überwindung der eigenen Bequemlichkeit. Beispiel Windenergie: Da gibt es die überzeugten Anti-AKWler, die im Wendland grünen Strom mit ihrem eigenen Propeller produzieren. Die Ausnahme zwar, aber trotzdem kann sich jeder für wenig Geld in ein Windkraftprojekt einkaufen. Die Rechnung ist überschaubar. Wer das nötige Kleingeld – sprich ab 1,5 Millionen Mark aufwärts – für eine 1-Megawatt-Anlage nicht hat, beteiligt sich an einem Windkraftfonds. Das macht durchaus Sinn: Für jede müde Mark produziert ein gut platzierter Propeller im Regelfall eine Kilowattstunde Ökostrom. Mit 3.000 Mark ist also ein Durchschnittshaushalt gut bedient.

Der Atomausstieg ist machbar, wenn er tatsächlich auch gewollt ist. Je mehr Bürger verstehen, dass die Liberalisierung der Strommärkte nicht nur ein Instrument der Marktbereinigung ist – die großen Energieversorger fressen die kleinen Stadtwerke –, sondern die Chance bietet, Einfluss auf die Zusammensetzung der Kraftwerksstruktur zu nehmen, desto schneller lässt sich die Wende tatsächlich einleiten und der Einstieg in den Ausstieg vollziehen. „Das Schlimmste, das den Strommultis passieren kann, ist eine energiepolitisch bewusst handelnde Kundschaft, die sich dem atomar-fossilen Elektronenmix durch Eigeninitiative entzieht“, meint Hermann Scheer, Präsident von Eurosolar.

Kreuz und quer in der Republik tauchen im Rahmen der solaren Marktdurchdringung immer häufiger sonnige Anzeigenmotive auf. „Atomkraft? Nein danke!“ – dieser Spruch ist out. Seit Brokdorf, Wyhl und Wackersdorf ist eben einiges passiert. Die Sonnenzellen sind zum Serienprodukt geworden und gleichsam von der Stange zu haben. Die Folge: Solarfreunde verbreiten ihre Visionen via Internet, solare Zellen keimen auf Deutschlands Dächern. Die Energieversorger sehen nur noch eine Möglichkeit, die wild um sich wuchernden blauen Energieumwandler zu unterbinden. Denn ähnlich wie früher bei den Windrädern heißt es plötzlich: Solardächer passen nicht in das Stadtbild, die blinkenden Flächen würden Autofahrer, Zugvögel und selbst Piloten irritieren. MICHAEL FRANKEN