Brot und Kekse

Tagsüber wird die „Tagesschau“ jünger, will näher an die Menschen rücken – und dennoch so „seriös“ bleiben wie die 20-Uhr-Ausgabe

von NICOLE VIRGIN

Zu bunt oder wild gemustert? Die Zeiten, als Karl-Heinz Köpckes Krawatten für Gesprächsstoff in deutschen Wohnzimmern sorgten, sind längst passé. Ebenso die Epoche, als ein Anruf nach dem 20-Uhr-Gong als unverzeihlicher Verstoß gegen die Etikette galt. Früher, da war die ARD-„Tagesschau“ für TV-Nachrichten fast so etwas wie „Tempo“ für Papiertaschentücher: ein Synonym.

Heute ist sie eines von vielen Info-Angeboten. Dennoch liegt die älteste deutsche Nachrichtensendung mit den Einschaltquoten stets vor ihren Konkurrenten. Im vergangenen halben Jahr sahen sie täglich rund 6,4 Millionen Menschen – zuzüglich der Zuschauer in den Dritten Programmen. Die gute alte „Tagesschau“ ist eben ein Erfolgsformat, wenn auch kein unumstrittenes: Ist sie tatsächlich die letzte Oase des objektiven Nachrichtenjournalismus? Hat es so etwas überhaupt je gegeben? Oder ist die „Tagesschau“ doch bloß ein Nachrichtenfossil, das der zunehmenden Skepsis gegenüber jedweder medialen Nachrichtenvermittlung mit einem überkommenen Seriösitätsanspruch begegnet – und gehört sie gerade deshalb längst ins Fernsehmuseum?

News-Experimente wagt die ARD nur mit ihren 15-minütigen Sendungen im Mittags- und Nachmittagsprogramm. Hier wird seit 1997 abgestaubt. Den Anfang machte die „Tagesschau um fünf“. Mittlerweile wird das veränderte Format auch um 12 und 15 Uhr ausgestrahlt. Die Idee: Jünger, lebendiger und doch seriös sollten die neuen Sendungen sein – und näher an die Menschen rücken. Näher kommt dem Zuschauer allerdings zunächst vor allem das Gesicht der Sprecher Claus-Erich Boetzkes und Ina Bergmann, die sich wöchentlich mit ihren Moderationen abwechseln. Beide sind Journalisten und arbeiten mit dem Teleprompter, jener Technik, die dem Zuschauer das Gefühl von direktem Blickkontakt vermittelt. Ein Sprecher, der die Meldungen vom Blatt abliest, gilt hier schon als out.

Das neue Format ist aber keine News-Show. Parteitage oder Parlamentsdebatten – alle wichtigen Nachrichtenthemen kommen auch in den moderierten „Tagesschauen“ vor. Dazu Buntes wie Neuigkeiten über Prinzessin Caroline von Monaco. Nachrichtliches Schwarzbrot werde tagsüber mit ein paar Keksen versüßt, beschrieb ein ARD-aktuell-Redakteur die inhaltliche Mischung.

Der Informationsqualität tut diese inhaltliche Auflockerung keinen Abbruch. Und weil das Nachrichtengeschehen tagsüber vielfach noch gar nicht zu Ende ist, bleibt immer noch Platz für Schwerpunkte und Hintergrundberichterstattung. Zugleich aber liefern Live-Schaltungen aktuelle Bilder, wird dröges Verlautbarungsdeutsch gegen alltagstauglichere Formulierungen ausgetauscht. Da „stechen die Grünen in ein Wespennest“ oder es gibt ein „neues Zugpferd in der Pressearbeit“ – und die sanfte Renovierung des Nachrichten-Dinos passt sich ebenso gemächlich wie stetig den veränderten Zuschauergewohnheiten an.

Dass diese Veränderungen in Bälde auch beim Original um 20 Uhr greifen könnten, davon will die ARD nichts wissen. Unterschiedliche Stile seien in einer Programmfamilie gewollt. „Die 20-Uhr-Sendung ist ein Kracher. Da muss man nicht anfangen rumzubasteln“, so Patrick Leclercq, Vize-Chefredakteur von ARD-aktuell: Der Zuschauer goutiere die typische, etwas trockenere Art der „Tagesschau“ – und die bunteren Krawatten, mag man hinzufügen, sowieso.